Warum, würde ich eher fragen, war es nötig oder von Interesse, diese Frage überhaupt zu erörtern? Es ist eine typische Frage von Leuten, die meinen, ihre historisch hochvoraussetzungsvolle Auffassung von „Gerechtigkeit“ auf alles anwenden zu müssen, was in ihr Gesichtsfeld gerät. Worauf sie diese, gebeten oder ungebeten, allem und jedem umgehend überstülpen. „Stellvertreterminoritäre“ habe ich das an anderer Stelle genannt, damals mit Bezug auf die wie Pilze aus dem Boden sprießenden Verteidiger realer und imaginierter ethnischer, religiöser und sexueller Minderheiten. Seit Feminismus (in einer sehr spezifischen Variante) Mainstream geworden ist, also genau seit dem historischen Moment, in dem seine Forderungen durchgesetzt waren, gibt es auch Männer, die pflichtschuldig hinter jeder Ecke diskriminierte Frauen wittern. (Der omnipräsente Verdacht richtet sich dabei so gut wie nie gegen Vertreter von Kulturen, die Frauenrechte mit Füßen treten. Bei Postmodernisten jeder Couleur gelten Klitorisbeschneidungen, Steinigungen und Witwenverbrennungen ohnehin als schützenswertes Kulturgut, Kritik daran als kolonialistisch.)
Die Erinnyen vertreiben Alkmaion von der Leiche seiner von ihm getöteten Mutter Eriphyle. Johann Heinrich Füssli 1821
Warum sollte die Tatsache, dass bei TUMULT weniger Frauen als männliche Autoren vertreten sind, denn zeigen, dass „bei der Gleichbehandlung von Frauen noch viel zu tun ist“? Glaubt der alte Freund, dass Theoretikerinnen in Massen herandrängen, um ihre Erkenntnisse loszuwerden – um dann von der Redaktion hämisch lächelnd abgeschmettert zu werden? Das linke, besonders natürlich das linkswoke, und das liberale Lager leiden an einer vollständigen Verzerrung der Realitätswahrnehmung, was die sogenannte „Geschlechterfront“ betrifft: Frauen sind in keiner Gesellschaft bisher so gut gestellt gewesen wie in der jetzigen. Sie sind weder unterdrückt noch benachteiligt, sondern das Gegenteil ist der Fall. Verräterisch ist wie immer die Sprache. Die einseitige Fürsorglichkeit hat einen Preis: Gleichberechtigung ist durch „Gleichstellung“ abgelöst worden, das heißt im Klartext: Chancengleichheit wird durch die Forderung nach Ergebnisgleichheit ersetzt. So viel zur Geschlechter“gerechtigkeit“, einer nervtötenden Chimäre interventionssüchtiger Etatisten.
Mag das dem Wunsch nach politisch-korrekter Tugendbezeigung entspringen oder einfach unreflektierten guten Absichten, es ist immer ein Versuch, Frauen in eine Schablone zu pressen, nur eben in eine vermeintlich progressive. Bemerkt worden ist, dass in Gesellschaften, in denen Frauen alle Berufswege offenstehen, diese vermehrt in klassische Frauenberufe drängen, statt jubelnd die MINT-Fächer zu stürmen oder sich kohortenweise abstrakten Spekulationen zuzuwenden. Das ist weder gut noch schlecht, und es ist auch nicht einzusehen, warum es überhaupt mit einer Wertung versehen werden sollte. Frauen haben entgegen feministischer Märchen alle Möglichkeiten; welche sie ergreifen und welche nicht, sollte man ihnen überlassen. Sie zum Gegenstand „emanzipatorischer“ Sorge zu machen, ist nur eine andere Form von Gängelei.
Die Vorstellung, gesellschaftliche „Rollenbilder“ ließen sich abschaffen, ist, von all dem abgesehen, grundlegend verfehlt: Diese können mehr oder weniger geschmeidig oder rigide ausfallen. Aber entgegen den Phantasien von „Befreiung“ gibt es keine Rollenbildlosigkeit und kann auch keine geben. Das gilt für beide Geschlechter. In den letzten Jahrzehnten sind diese ohnehin stark flexibilisiert worden – ein Teil des Übergangs zu dem, was Jürgen Link als „flexiblen Normalismus“ beschrieben hat. Auch dieser hat freilich seine Tücken: Der Egalitätsfeminismus schafft neue Zwänge. Die zutiefst destruktive Gender-Theorie löst Erwartungen an die Geschlechter nicht auf, sondern vervielfältigt sie und belastet zudem noch mit der Notwendigkeit, diese arbiträren, sich wanderdünenartig verschiebenden Konstrukte mit irgendeinem Inhalt zu füllen. Das ist schon längst kein Fortschritt mehr, das ist ein Sturz ins Leere.
Es führt allerdings nicht weiter, wenn die Rechte auf die besinnungslose Idolatrie, die das linke und liberale Lager mit Frauen betreibt, mit einer Neuauflage klassischer misogyner Topoi antwortet. Wenn diese von Frauen kommen, wie teilweise in den Reaktionen auf die eingangs gestellte Frage, ändert das nichts daran, dass sie keine Antworten bieten. Es erstaunt, wenn dort zu lesen ist, dass „Frauen nicht schreiben können“, ja dass so wenige Frauen für TUMULT schreiben würden, „weil niemand diese lesen“ wolle. Ist das so? Und: Woher wissen wir das?
Und sorgen in der Tat auch heute „das Muttertum und die schwächere körperliche Ausstattung“ „für Ortsgebundenheit und kleine Welt“, weswegen Frauen „mit dem Bauch denken“ müssen? In Zeiten des Internet, das ununterbrochen die ganze Welt ins Wohnzimmer spült, können auch Frauen kaum mehr in einer kleinen Welt verweilen, selbst wenn sie es wollen sollten, ganz davon zu schweigen, dass sie heute meist berufstätig sind. Ihre Welt, sofern sich das noch verallgemeinern lässt, ist damit im Schnitt wohl nicht kleiner als die der Männer. Der zweite bemerkenswerte Punkt besteht darin, diese ihre angebliche Lage („Frau in kleiner häuslicher Welt“) Frauen anzulasten, wo es doch genau das ist, was das konservative Lager favorisiert – Frauen, die dem nachleben, wären demnach genau deshalb verachtenswert oder jedenfalls weniger wert als ein Mann? Was ist dieser Double Bind, wenn nicht (ein Wort, das ich sonst praktisch nie verwende) frauenfeindlich? Man erkennt selbst angesichts der bescheidenen Frage, warum denn nun so wenige Frauen für ein bestimmtes Magazin schreiben: Die Herausforderung wird darin bestehen, weder Idealisierung noch (Selbst)Hass zu betreiben.
In Hinblick auf das utopistisch verkürzte Menschenbild der Linken wird von rechts immer wieder darauf hingewiesen, dass das Grundproblem eine verfehlte Anthropologie sei, die nach einer grundlegenden Korrektur verlange. Das gilt eben auch und gerade für die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Eine solche Anthropologie kann allerdings keine des Ressentiments sein. Sie balanciert damit hinsichtlich der Konsequenzen, die daraus gezogen werden müssten, auf einem schmalen Grat. Eine realistische Evaluierung der Unterschiede zwischen Mann und Frau wird liebgewordene Gleichheitsmythen umstürzen. Die Frage ist, was daraus gefolgert wird: Wird die Anerkennung der Differenz zur Abwertung einer Seite genutzt, oder wird diese Differenz selbst positiv gewertet, die Unterschiede zwischen Mann und Frau also als Bereicherung begriffen? Der durchschaubare Grund, warum Gleichheit als Gleichartigkeit derart mit Klauen und Zähnen verteidigt wird, ist ja, dass Feministinnen seit jeher fürchten, das Eingeständnis substantieller Unterschiede zwischen den Geschlechtern würde automatisch mit einer Ablehnung der Gleichwertigkeit einhergehen. (Diese Sorge besteht nicht zu Unrecht, da bei der Beobachtung von Gegensatzpaaren zumindest aufmerksamkeitstechnisch eine Seite präferiert wird, was tendenziell auch Wertungsunterschiede nach sich ziehen kann.) Und weiter: Wird die Differenz verabsolutiert oder lässt man gelten, dass es immer auch Individuen gibt, die in diesem oder jenem Merkmal dem anderen Geschlecht näher zu stehen scheinen? Von der Beantwortung dieser Fragen wird es abhängen, ob die Rechte über Kritik am in Dauerschleife laufenden Gender-Stadl hinaus etwas Positives zur (Neu)Ordnung der Geschlechterverhältnisse beizutragen hat. Denn, was immer kommen mag und wie immer man das findet, eine reine Restitution früherer Geschlechterordnung wird es nicht geben – es sei denn, die Gesellschaft stürzt in einen Zustand anarchischer Barbarei, in dem körperliche Überlegenheit das einzige ist, was zählt. Das ist nicht auszuschließen, aber dann werden ohnehin andere Themen als die Diskussion über Geschlechterfragen die Szene beherrschen.
*
Über die Autorin:
BETTINA GRUBER, Dr. phil. habil., venia legendi für Neuere Deutsche Philologie sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Vertretungs- und Gastprofessuren in Deutschland, Österreich und den USA. Ernennung zur außerplanmäßigen Professorin an der Ruhr-Universität Bochum 2005. 2015 bis 2017 im Rahmen des BMBF-Projektes FARBAKS an der TU-Dresden. Letzte Buchveröffentlichung: Bettina Gruber: Phantastische Räume. Das Politische Imaginäre in Zeiten des Misstrauens. edition buchhaus loschwitz: Dresden 2023
Hier können Sie TUMULT abonnieren.
Für Einzelbestellungen klicken Sie bitte hier.