Einmal mehr entlarvt Bettina Gruber den Genderismus unter hartnäckiger Bezugnahme auf dessen mächtigste Nemesis - die Realität - als theoretisches Ungetüm, das noch die abseitigsten Glasperlenspiele der mittelalterlichen Scholastiker lebensnah erscheinen und selbst eingefleischte LGBT-Parteigänger wie Martina Navratilova verzweifeln lässt.
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Dass es TERFS (s. Teil I) gibt, ist ein Ergebnis der Verleugnung von Zweigeschlechtlichkeit und diese hat einen bestimmten ideologischen, ich zögere zu schreiben: „philosophischen“ Hintergrund, denn es handelt sich um ein typisches Beispiel für einen ‚abgesunkenen‘ philosophischen Diskurs. Postmoderne und Dekonstruktion nahmen ihren Ausgang von einem zentralen Denkmotiv: der Ablehnung von binären Oppositionen. Dieser (an seinem Ursprung partiell berechtigte) „Anti-Binarismus“ mutierte alsbald zu einem Leitmotiv, das von allen verstanden werden konnte, denen die Spiralnebel postmoderner Diskurse ansonsten genau das blieben: nebulös.
Folgerichtig klammerte sich eine wachsende Gefolgschaft von Intellektuellen, denen ihr einstiger Maoismus oder Stalinismus peinlich geworden war, an die neuen Paradigmen und besonders gern an das anti-binaristische Dogma, das jedweder Aussage eine geheimnisvoll schillernde Unschärfe verlieh. Endlich war man der leidigen Notwendigkeit enthoben, Auskunft über Fragen wie das konkrete Verhältnis von Über- und Unterbau zu geben oder die Massenmorde eine vorgeblich menschenfreundlichen Ideologie mit geschichtsphilosophischen Notwendigkeiten entschuldigen zu müssen. (Um einem naheliegenden Einwand zuvorzukommen: Nein, ich möchte die Postmoderne nicht auf ihren taktischen Aspekt reduzieren; ihr Aufstieg antwortete auf eine offenbar tief gefühlte Ratlosigkeit angesichts des Scheiterns der dogmatischen Linken einer- und eines scheinbar endgültig triumphierenden Liberalismus andererseits. Aber man muss sich vielleicht mehr als bei jeder anderen Bewegung hüten, ihre bombastischen Selbstbeschreibungen beim Wort zu nehmen.)
Und siehe da, die Kritik am Binaritätsprinzip ließ sich wunderbar auf ein Feld anwenden, für das sie nicht erfunden worden war, auf dem sie sich jetzt allerdings als nützliche Waffe erwies: das der Geschlechter. Die Unterscheidung von „männlich“ und „weiblich“ bzw. Mann/Frau bildete schließlich bloß ein weiteres schädliches Oppositionspaar, das zu dekonstruieren war. Da Frauen angeblich nicht geboren, sondern gesellschaftlich „gemacht“ werden, und zwar zu ihrem Nachteil, schien es einleuchtend, dass sie von einer Dekonstruktion von Zweigeschlechtlichkeit ganz besonders profitieren würden. Eine Reihe einflußreicher, überwiegend lesbischer Feministinnen machte sich diese Doktrin zu eigen, allen voran Monique Wittig, die erklärte, dass Frauen nur in heterosexuellen Denksystemen existieren würden und deshalb mit missionarischem Eifer auf die Verwischung von Geschlechtergrenzen setzte. Shulamith Firestone, die wohl bekannteste unter ihnen, gab die Parole aus, Unterschiede zwischen den Geschlechtern seien zu eliminieren.
Die Beispiele ließen sich mühelos vermehren. Wirklich erstaunlich ist, dass dieses Denkmuster, das scholastische Fragestellungen der Art, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz hätten, als gut geerdet erscheinen lässt, sich seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht nur halten, sondern üppig ins Kraut schießen konnte. 2007 antwortete die britische Feministin Julie Bindel, auf die Frage des Guardian, was sie sich für nächstes Jahr am meisten wünsche: „ I want to see an end to gender. It has no place in my world.“ Die „tyranny of learned masculinity and femininity“ müsse endlich enden.
Allerdings, die Nemesis jeder Theoriebildung ist die Realität. Man kann solange straflos deklamieren, dass außerhalb des Diskurses das Nichts lauert, bis einem ein Ziegel auf den Kopf fällt, und das gilt auch für die Behauptung, die Geschlechterdifferenz sei eine Fiktion und Geschlecht frei wählbar. (Eine Annahme übrigens, die ausgerechnet von der stets als Gewährsperson herangezogenen Philosophin Judith Butler mit der Bemerkung „Ich bin ja nicht verrückt. Ich bestreite keineswegs, dass es biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt.“ abgelehnt wurde. https://philomag.de/heterosexualitaet-ist-ein-fantasiebild/)
Die Fiktion der Fiktion mag bunt sein, doch „hart im Raume stoßen sich die Sachen“, und da kommen hinter Akzeptanz und Inklusivität sehr bald handfeste Interessenkonflikte zum Tragen. Die Konfliktfelder sind dabei mannigfaltig: Es geht um den Zugang zu Räumen, die Frauen vorbehalten waren: Damen-Toiletten, Umkleiden, eben „safe spaces“. Am unmittelbarsten sichtbar wird der Interessengegensatz im Sport. Männer, die als Frauen starten, nutzen ihre physische Überlegenheit, um ihre Mitkämpferinnen zu deklassieren.
In den USA ist es mittlerweile in 17 Bundesstaaten möglich, dass Trans-Frauen auch im College-Sport starten, mit den erwartbaren Resultaten. Beim 100 und 200 m-Lauf der State Girls Championship in Connecticut wurden 20017 die beiden ersten Plätze von einem sich als Mädchen definierenden Fünfzehnjährigen belegt.
Ein weiteres Beispiel ist die Gewichtheberin Mary Gregory, die vor Kurzem eine ganze Reihe von weiblichen Weltrekorden brach. Die Reaktionen konkurrierender Sportlerinnen fielen mäßig freundlich aus, die „Raw Powerlifting Federation“ erkannte die Titel vor zwei Wochen wieder ab. („Actually a male. Transgender weightlifter stripped of world records.“ uk.sports. yahoo.com) Die Begründung ist für jeden nicht gegenderten Intellekt mühelos nachvollziehbar: „Our rules, and the basis of separating genders for competition, are based on physiological classification rather than identification.” Da ist sie wieder, die ungeliebte Außenwelt, die in Erinnerung ruft, dass die Selbsteinschätzung des Individuums nicht in allen Dingen die letzte Instanz darstellten kann. Eine Einsicht, die in einer bis zum Solipsismus individualisierten Gesellschaft freilich nicht auf Verständnis stößt: Tennisstar und langjährige lesbische Aktivistin Martina Navratilova wendete sich gegen die Teilnahme von Trans-Athleten am Frauensport und wurde daraufhin als „transphob“ beschimpft und aus ihrer LGBTQ-Organisation ausgeschlossen.
Diese Realität kann sich auch noch auf weit unangenehmere Weise Geltung verschaffen. Zur physischen Gefahr wird das Miteinander von Mann-zu-Frau-Transgendern im Kampfsport. MMA-Kämpferin Fallon Fox fügte ihrer Kontrahentin einen Schädelbruch zu. Die anschließende Kontroverse wurde überwiegend in Sport-Fachzeitschriften, konservativen Blogs und den alternativen Medien geführt. Der mediale Mainstream reagierte kaum.
In Großbritannien, wo „misgendering“, also die Verwendung nicht genehmer Pronomina, zwar nicht strafbar ist, aber einem nichtsdestoweniger die Polizei auf den Hals ziehen kann, zeichnen sich durch die geplante Reform des Gender Recognition Acts (GRA) von 2004 jedoch noch weit krassere Zustände ab. Bei den „Störenfriedas“, einem sich selbst als „radikalfeministisch“ definierenden Blog, zeigt man sich besorgt.
„Der bisher umfangreiche Prozess der Anerkennung des gewünschten Geschlechts mit einem GRC (Gender Recognition Certificate) soll einer einfachen und unkomplizierten Lösung weichen. Statt dem Erbringen zweier Gutachten und dem Nachweis, schon mindestens zwei Jahre in dem gewünschten Geschlecht gelebt zu haben, solle eine einfache Online-Self-ID-Lösung her. Kurzgefasst: Jeder, der will kann sagen, dass er/sie nun eine Frau bzw. ein Mann sei oder non-binary oder gender-fluid. […] Aber der GRA deckt jedoch nicht nur diese Frage ab, sondern beeinflusst in einem Domino-Effekt auch die damit verbundenen Rechte. Insbesondere davon betroffen sind Rechte zum Schutz für Frauen: geschützte Frauenräume. Frauenhäuser, Gefängnisse etc. werden – direkt nach dem GRA −für alle Menschen geöffnet, die sich als Frau identifizieren. Im vorauseilenden Gehorsam wird vieles auch heute ohne bestehende Grundlage schon umgesetzt. […] Viele dieser Entwicklungen gibt es auch hier in Deutschland.“ https://diestoerenfriedas.de/von-einer-die-auszog-ein-terf-zu-werden/
Die Aussicht, womöglich mit Personen vom Format einer Fallon Fox im Gefängnis zu sitzen, dürfte für die weiblichen Insassinnen nicht sonderlich beruhigend sein. Die anonyme Störenfrieda-Autorin berichtet weiter, dass Frauen, die sich über die geplanten Reformen des GRA informieren wollten, von Trans-Aktivisten unter Druck gesetzt und bedroht wurden, damit aber nicht genug. Eine 60-jährige Frau wurde angegriffen, „ihr wurde die Kamera aus der Hand geschlagen, sie wurde zu Boden geworfen und bekam mehrere Schläge ins Gesicht.“ Der Täter war eine „180 cm große 26-jährige Transfrau“. Kein Wunder, dass die Begeisterung für die Vorstellung eines frei wählbaren Geschlechts in feministischen Kreisen langsam abnimmt. Es braucht keine prophetischen Gaben, die Wiederentdeckung von Geschlechtsunterschieden auf breiter Front zu prognostizieren. Liebevoll inszeniert und personifiziert werden dürfen die zur Zeit politisch korrekt ohnehin nur von Transpersonen. Zeit, die biologische Weiblichkeit (und Männlichkeit) in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen.
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Über die Autorin:
BETTINA GRUBER, Dr. phil. habil., venia legendi für Neuere Deutsche Philologie sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Vertretungs- und Gastprofessuren in Deutschland, Österreich und den USA. Ernennung zur außerplanmäßigen Professorin an der Ruhr-Universität Bochum 2005. 2015 bis 2017 im Rahmen des BMBF-Projektes FARBAKS an der TU-Dresden. Letzte Buchveröffentlichung: Bettina Gruber / Rolf Parr (Hg.): Linker Kitsch. Bekenntnisse – Ikonen−Gesamtkunstwerke. Paderborn 2015.
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