Unsere Autorin hatte in der ersten Lieferung dieser kleinen Serie festgestellt, dass Feminismus nicht nur männerfeindlich ist (was nun keine Überraschung darstellt), sondern auch frauenfeindlich, weil er nicht von den Bedürfnissen realer Frauen ausgeht, sondern von einem Frauentypus, der seinen rigiden Normvorstellungen und Idealen entspricht. Er reagiert damit unter anderem auf ökonomische Anforderungen und politische Opportunität (Frauen bilden ein attraktives Wählerpotential.)
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Der Mythos einer Befreiungsbewegung (die der frühe Feminismus bis zu einem gewissen Grade war) wird immer mehr als genau das erkennbar: ein Mythos, oder besser: ein ideologisches Versatzstück in einer Menschen schablonisierenden Ideologie. Wo Gleichstellung draufsteht, ist Normierung drin.
Die Durchsetzung dieser neuen Normen funktioniert also unter der Fahne der Befreiung bestens. Ihr ausdauerndes Schwenken stellt sicher, dass die Normierten begeistert mitschwenken, weil sie glauben, hier würde ihre Sache vertreten und verhindert, dass der Vorgang als das erkannt wird, was er ist.
Die Feindseligkeit gegenüber beiden Geschlechtern (das vom Bundesverfassungsgericht statuierte dritte ist hier nicht mein Thema) äußert sich deutlich im Versuch, die Grundkategorie des Geschlechts selbst zu zerstören. Diese passt in ihrer Tendenz nicht zum gewünschten totalisolierten Individuum, das ideologisch und als Konsument leicht lenkbar ist. Geschlecht impliziert ja im statistischen Normalfall (völlig ohne Wertung) eine Bezogenheit auf das »gegenüberliegende« Geschlecht und damit die Möglichkeit einer Bindung.
Gut strukturalistisch erhalten die Begriffe »Mann« und »Frau« ihre Bedeutung nur durch ihr Gegenteil. Ob das postmodernen Geistern gefällt oder nicht, dieser Bezug ist binär, wenn auch mit einer enormen Bandbreite an jedem seiner Pole. (Dass es keineswegs übertrieben ist, vom Wunsch nach einer Zerstörung der Zweigeschlechtlichkeit zu sprechen, zeigt z.B. die »Neue Regelung für geschlechtergerechte Sprache« der Stadt Hannover. Dort lässt man die Katze aus dem Sack, denn es heißt ganz offen: »Das Sternchen zwischen der maskulinen und femininen Endung ... hebt gezielt den Geschlechterdualismus auf.« Deutlicher kann man nicht mehr werden.
Dieses Aufeinander-Bezogen-Sein ist die grundlegende Wahrheit von Geschlecht − eine Banalität, die man aussprechen muss, weil sie außer Gebrauch gerät. Ohne Zweigeschlechtlichkeit hätten wir diese Kategorie gar nicht. Die alte Symbolik von Schloss und Schlüssel ist allerdings viel mehr als nur anatomisch. Sie bedeutet auch, dass weite Bereiche unseres Alltagslebens durch eine ständige (latente oder aktuelle) Bezugnahme auf das andere Geschlecht gekennzeichnet sind.
Der öfters an universitären Klotüren zu lesende feministische Programm-Spruch »Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad« ist demnach so sinnvoll wie weißes Rauschen und so nutzbringend wie Tetanus − das gilt auch, wenn man »Frau« und »Mann« gegeneinander vertauscht. Es ist evident, dass der Fisch-Fahrrad-Satz für die Mehrzahl der Frauen in der Mehrzahl ihrer Lebenssituationen schlicht unzutreffend ist.
Die Millionen von Menschen auf der Welt, die ständig (auch in dem Augenblick, in dem Sie dieses lesen) und oft verzweifelt nach gegengeschlechtlichen Lebenspartnern oder Sexualkontakten suchen, belegen das Gegenteil. Um im Bild zu bleiben: Frauen ohne Männer und Männer ohne Frauen sind wie Fische ohne Wasser. Es gibt also kaum eine Behauptung, die realitätsverleugnender sein könnte.
Allenfalls macht ihr noch Sheila Jeffreys' ebenfalls einst beliebtes Zitat »Alle Frauen sind lesbisch außer denen, die es noch nicht wissen« Konkurrenz. Die unglaubliche Anmaßung und Frauenverachtung, die in diesen Sätzen steckt, hat der Gender-Aktivismus vom radikalen Feminismus geerbt und potenziert. 90 % der Frauen werden damit einer Beschreibung unterworfen, die keinerlei Respekt vor ihrer sexuellen Orientierung zeigt.
Der Spruch entspricht keiner Wahrheit, aber er erfüllt dafür einen Zweck und er ist repräsentativ für ein sehr ernstzunehmendes Streben. Geprägt wurde er von der (nicht-lesbischen) amerikanischen Feministin Gloria Steinem, die als Gallionsfigur und Herausgeberin des Magazins Ms. berühmt wurde. Nun kann man sich (auch wenn man einen spielerisch-provokativen Charakter des Satzes in Rechnung stellt) fragen, wie eine heterosexuelle Frau und mit ihr eine ganze Bewegung dazu kommt, einen solchen Satz als eine Art Motto anzusehen.
Der Grund ist klar, auch wenn er in den offiziellen und offiziösen Diskursen, die die Frauenbewegung feiern, nicht auftaucht: Ihr Fetisch ist und war das überlebensgroße Phantasiebild einer absolut unabhängigen und sich selbst ermächtigenden Frau. Bezogenheit auf das andere Geschlecht dagegen nimmt über weite Strecken des Lebens unweigerlich die Form einer gegenseitigen Abhängigkeit an. Damit widerspricht sie einem Ideal westlicher Gesellschaften, das auch die Entstehung des Feminismus befeuerte, nämlich dem radikaler Un-abhängigkeit (die für jedes Lebewesen ein Phantasma bleiben muss) und Freiheit.
Sie bildet einen Stolperstein für den Kultus des autonomen (hier: weiblichen) Subjekts, nicht zuletzt, weil sie in ihrem grundlegendsten Aspekt auf Fortpflanzung ausgelegt ist. Störender als stabile weibliche Heterosexualität ist für diese feministische Selbstschöpfungsphantasie dann nur mehr die Mutterschaft. Die ganze Fisch-ohne-Fahrrad-Geschichte ist also einfach eine Fortsetzung der radikalen Individualisierungs- und Vereinzelungstendenzen, mit dem sich der Feminismus in völlig unorigineller Weise der Gesamttendenz der Modernisierung angepasst hat.
Revolutionär, wie gerne geglaubt wird, ist an den Feminismen in dieser Hinsicht gar nichts. Die stolze Proklamation der Selbstgenügsamkeit ist im Rückblick ein Akt des totalen Konformismus. (Das ist besonders traurig, wenn man bedenkt, wie viel das Streben nach diesem Richtwert Frauen, und in der Folge Männer und Kinder, gekostet hat, und wieviel Anstrengungen, beste Absichten und Herzblut in diesen Kampf an einer falschen Front geflossen sind.)
Sätze dieser Art fungieren als ein Abwehrzauber gegen die Einsicht, dass es für heterosexuelle Menschen, also die überwältigende Mehrheit, keine Unabhängigkeit der Geschlechter voneinander geben kann und diese für den Zusammenhalt der Gesellschaft auch nicht wünschbar ist.
Diese sehr einfache Erkenntnis wird durch die Verwechslung von Geschlecht und sexueller Orientierung, wie der Gender-Hype sie systematisch betreibt, für die, die sich innerhalb seiner Grenzen bewegen, fast unmöglich gemacht.
Da es sich mittlerweile um ein den öffentlichen Diskurs beherrschendes Paradigma handelt (in Großbritannien werden Meinungsabweichungen im Internet von einer Task-Force verfolgt), gerät eine uneingeschränkt positive Bewertung von Heterosexualität fast schon zur Dissidenz. ( Vgl. https://www.gwi-boell.de/de/comment/335 - Bei der Böll-Stiftung ist man schon so weit: »Alle Heteros sind homophob.«)
Gerade deswegen muss eine neue Beschreibung her, die nachholt, was Feminismus und Gender-Studies nicht leisten konnten und wollten, nämlich eine Beschreibung des Mit- und Gegeneinanders beider Geschlechter im historischen Wandel, also ein Verhältnisgeschichte. Es gibt »systemische Therapie«, die gemeinsame Therapie von Gruppen oder Familien, eine systemische Geschlechterforschung aber fehlt.
Die würde dann endlich zwei unerträgliche Mankos korrigieren: dass in einer mit Unsummen von Steuergeldern geförderten akademischen (!) Disziplin eine Hälfte der Bevölkerung dämonisiert, die andere idealisiert wird, was zu Lasten beider geht; und dass die sexuelle Orientierung von vielleicht 90 % der Bevölkerung als »Zwangsheterosexualität« dämonisiert werden kann und ansonsten keine Rolle spielt.
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Über die Autorin: BETTINA GRUBER, Dr. phil. habil., venia legendi für Neuere Deutsche Philologie sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Vertretungs- und Gastprofessuren in Deutschland, Österreich und den USA. Ernennung zur außerplanmäßigen Professorin an der Ruhr-Universität Bochum 2005. 2015 bis 2017 im Rahmen des BMBF-Projektes FARBAKS an der TU-Dresden. Letzte Buchveröffentlichung: Bettina Gruber / Rolf Parr (Hg.): Linker Kitsch. Bekenntnisse – Ikonen−Gesamtkunstwerke. Paderborn 2015.
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