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Bettina Gruber: GESCHLECHTER UND INTERESSE – Hannover schafft »Männer« und »Frauen« ab

Aus aktuellem Anlass widmet sich unsere Autorin einer um sich greifenden Diskriminierung, die keinen Aufschrei nach sich zieht, weil sie der Mehrheitsgesellschaft gilt. Bezug nehmend auf die gendergerechten Sprachneuregelungen der Stadt Hannover, formuliert Bettina Gruber das Plädoyer, den Ungeist der Ideokratie in die jakobinische Flasche zurückzudrängen.

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Die Stadt Hannover hat in einer Presseerklärung kundgetan, ihren gesamten offiziellen Schriftverkehr künftig in »geschlechtergerechter Verwaltungssprache« abwickeln zu wollen (»Neue Regelung für geschlechtergerechte Sprache«, 18. Januar 2019, einsehbar unter www.hannover.de) Von vielen Skurrilitäten abgesehen heißt das unter anderem, dass in Anschreiben die Anrede »Herr« bzw. »Frau« unterbleiben soll. Auch »sehr geehrte Damen und Herren« steht auf der Abschussliste. Empfohlen wird stattdessen »Liebe Gäste« oder, besonders gepflegt, einfach »Guten Tag!«

Das ist nicht anderes als die Diskriminierung einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung, die sich ganz klassisch als »Frau« oder »Mann« definiert und nebenbei bemerkt auch ganz klassisch Frau bzw. Mann ist. Wenn ich als »Frau« angesprochen werden möchte, wie wird die niedersächsische Verwaltung in all Ihrer Weisheit künftig darauf reagieren? Sie macht Frauen und Männer (es dürfte sich locker um 95 % der Bevölkerung handeln) damit unsichtbar, und sie tut es absichtsvoll. Wir befinden uns in einem undeklarierten Krieg gegen das Geschlecht, einem Krieg gegen die Natur und einem Krieg gegen das Selbstbestimmungsrecht der Bürger gegenüber bevormundenden Bürokratien.

Hier wird die Geschlechtswahrnehmung einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe allen anderen nach Gutsherrenart aufs Auge gedrückt. Was mich betrifft: Ich bin eine Frau, ich bleibe eine Frau und ich lege strikten Wert darauf, so angesprochen und angeschrieben zu werden. Weitere Geschlechter habe ich nicht, und ich möchte nicht, dass man mir welche andient. Durch Sterne und Unterstriche (letztere wegen ihrer Schwerfälligkeit künftig durch noch mehr Sterne, auch zwischen Artikel und Substantiv zu ersetzen: »der*die Ingenieur*in«) sehe ich mich nicht hinreichend repräsentiert. Der Einwand der »Wohlmeinenden« lautet natürlich, dass diese infantilen Formen, ja nun endlich »alle« einschließen würden. Tatsächlich wird das natürliche Geschlecht damit zum Verschwinden gebracht: Die Schrägstriche, Sternchen und Unterstriche sind Typographie gewordene Diskriminierung von Menschen, die sich ihrer Geschlechtsidentität sicher sind: »Das Sternchen * zwischen der maskulinen und femininen Endung soll in der Schriftsprache als Darstellungsmittel aller sozialen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten dienen und hebt gezielt den Geschlechterdualismus auf.« (Hervorhebung B.G.).

Bestimmte Formen der Sexualisierung werden dem Bürger dadurch von Amts wegen aufgezwungen. (Hannover verfügt allen Ernstes über eine »Beauftragte für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt«.) Es stellt sich die Frage: warum? Die Mehrzahl der Bürokraten wird in gutem Glauben dem Zeitgeist folgen und (genau wie große Teile der Bevölkerung) kein Misstrauen gegenüber dem abgelutschten Vokabular von »Gerechtigkeit«, »Vielfalt« und »Gleichstellung« hegen. Einer von oben aufgedrückten Form der »Befreiung« sollte jedoch grundsätzlich mit Misstrauen begegnet werden. Die Frage muss lauten: Wer profitiert? Es ist der Verwaltungsstaat, der immer mehr Macht, nicht nur über das Privatleben der Bürger, sondern sogar über ihre Selbstdefinition und ihre Realitätswahrnehmung bekommt. Er nistet sich auf diese Weise im Inneren der Subjekte ein, ein wesentliches Ziel von Ideokratien. (Der Begriff wurde von der Forschung, soweit ich sehe, bislang auf totalitäre Staaten angewandt, geprägt wurde er im frühen 19. Jahrhundert zur Beschreibung der Jakobinerherrschaft. Ich bin der Überzeugung, dass eine Anwendung auf Deutschland mittlerweile gerechtfertigt ist ebenso wie gesellschaftliche Bereiche wie Medien, Bildung, Erziehung, Universitätswesen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten mittlerweile weiträumig von ideokratischen Herrschaftsmustern dominiert werden.) Das widerspricht der Ausdehnung von Verwaltungen in keiner Weise, sondern verleiht diesen erst die Legitimation für unbegrenztes Wachstum zu Lasten jeder bürgerlichen Freiheit.

Was sich in der Entscheidung der Stadt offenbart, ist der in den letzten Jahrzehnten überhand nehmende Hang zur Diskriminierung von »Normalität«. Wenn nach mehrheitlicher Auffassung der Gender-Matadore Lann Hornscheidt als Professx anzusprechen ist, wie kommt es dann, dass die Anreden »Herr« und »Frau« zwangsweise aus dem Verkehr gezogen werden? Zählen die Wünsche derer, die sich immer noch als »Männer« und »Frauen« verstehen weniger?

Ein solches Vorgehen lässt nur einen Schluss zu: Wer über eine stabile Geschlechtsidentität verfügt, wird künftig (und durch diese Regelung in Hannover auch schon jetzt) als Bürger zweiter Klasse behandelt, dessen Persönlichkeitsrechte den Empfindlichkeiten und Wünschen aggressiv lobbyierender Minderheiten, ihrer ideologisierten Einklatscher und naiven Nachsager nachgeordnet werden. Geschlechterungerecht in höchstem Ausmaß ist eine Regelung, die die Existenz natürlicher Geschlechter in der Sprache auszulöschen trachtet.


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Über die Autorin: BETTINA GRUBER, Dr. phil. habil., venia legendi für Neuere Deutsche Philologie sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Vertretungs- und Gastprofessuren in Deutschland, Österreich und den USA. Ernennung zur außerplanmäßigen Professorin an der Ruhr-Universität Bochum 2005. 2015 bis 2017 im Rahmen des BMBF-Projektes FARBAKS an der TU-Dresden. Letzte Buchveröffentlichung: Bettina Gruber / Rolf Parr (Hg.): Linker Kitsch. Bekenntnisse – Ikonen−Gesamtkunstwerke. Paderborn 2015.

Weitere Beiträge von Bettina Gruber finden sich etwa in den Druckausgaben vom Sommer 2017 oder vom Winter 2017/2018.

 

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