Die durch Corona in der Gesellschaft ausgelöste (oder eher nur aufgezeigte) Spaltung macht die etablierten Medien nervös. (Ich vermeide den Ausdruck „Mainstreammedien“, denn es ist unklar, ob diese wirklich noch den „Hauptstrom“ der Gesellschaft repräsentieren oder bloß die Macht.) Menschen, die gegen ein politisches Establishment auf die Straße gehen, das sich der Vierten Gewalt gegenüber so willfährig erwiesen hat, dass Entscheidungen aus Angst vor „hässlichen Bildern“ unterbleiben, stellen nicht nur eine Front gegen dieses, sondern vor allem auch gegen die Medien dar.
Das wird klar verstanden und mit einem Bombardement an Vorwürfen, Herabsetzungen und Beleidigungen der Demonstranten in teils skurrilen Kombinationen gekontert. „In der Szene berühren sich politische Ränder. Auf ihren Demos treffen sich Nazis mit Linksradikalen, Esoteriker und Homöopathen mit psychisch Verwirrten.“ schreibt Johannes Boie in der Welt. Persönlich habe ich nie ein Video des als verschwörungstheoretischen Gott-sei-bei-uns bemühten Ken Jebsen (KenFM) gesehen und habe auch nicht die Absicht, mir eins anzuschauen. Was mich interessiert, ist die Unruhe, die diese doch einmal wahrhaft bunte Bewegung in die Welt der Merkelmedien trägt. Diese zeigt sich an dem Versuch, alles was derzeit in irgendeiner Form schlecht angesehen ist, zusammenzupacken, um es zu diskreditieren: Was hat etwa die Tatsache, dass jemand Anhänger der Homöopathie ist, mit seiner politischen Haltung und seiner Anwesenheit auf einer Demonstration zu tun? Die Antwort ist einfach. Die alternative Heilmethode (sie mag funktionieren oder auch nicht) ist in Misskredit geraten, vermutlich weil sie der Schulmedizin zu viel Verdienst entzieht. Die längste Zeit wurde sie, so meine Erfahrung, gerade in grünalternativen und linksgrünbürgerlichen Kreisen gehätschelt, und es galt geradezu als Ausweis besonderer „Bewusstheit“ und eines vagen Dagegen-Seins, die Homöopathin aufzusuchen. Wer wie ich auf den Allgemeinmediziner vertraute, wurde in dieser Gesellschaft eher belächelt.
Jetzt hat sich der Wind gedreht, und die bedauernswerten Vertreter dieser Berufsgruppe finden sich nicht nur als Scharlatane abgestempelt, sondern auch noch in Gesellschaft von „Nazis“ und „psychisch Gestörten“ wieder. Irritierend auf die säuberliche Scheidung von Gut und Böse wirkt sicherlich auch, dass mit Attila Hildmann ausgerechnet ein türkisch- (oder kurdisch-)stämmiger Veganer im Zentrum der Proteste steht. Damit sind gleich zwei weitere Zuordnungskriterien auf einmal ins Rutschen geraten. Veganer waren grundsätzlich gut, hip, soft und in, und Personen mit orientalischem Migrationshintergrund waren und sind so gut wie unangreifbar, es sei denn, ja, es sei denn, sie erweisen sich plötzlich als Sand statt Schmieröl im Getriebe der Republik. Dann ist der „antirassistische“ Schutzwall ganz schnell weg. In diesem Sinne: Der Kategoriendurcheinanderwirbler Attila Hildmann (was immer er ansonsten vertreten mag) er lebe hoch, hoch, hoch!
Besonders verstörend muss zudem die Querfront wirken, die sich plötzlich und gegen alle Erwartungen und Spielregeln gebildet hat (s. meinen letzten Beitrag). Ich persönlich würde sie nicht überschätzen und halte sie für ein ephemeres Phänomen, denn auch hier ist die moralische Dichotomie, die das Land durchzieht wie der Grand Canyon, zu tief eingeschliffen. Aber vorläufig ist die bunte Kollektion einfach da und einfach laut, weil sie findet, dass man ihr die Zukunft klaut. Das war doch noch vor Kurzem sehr beliebt und ein Garant für mediale Aufmerksamkeit.
Die allergrößte Irritation scheint freilich zu sein, dass die Herrschaft über die Fakten abhandengekommen ist. „Ich fürchte“, schreibt Boie, „dass wir nach dem Zeitalter der Aufklärung aller modernen Technologie zum Trotz in eine neue Zeit eintreten, in der sich die Menschen von Fakten und Wissenschaft abwenden. Erneut bevorzugen Millionen in der westlichen Welt einfache Antworten für komplexe Probleme.“
Erstaunlich ist die Überzeugung, dass Journalisten „Fakten und Wissenschaft“ verwalten und vertreten würden und diese auch dort gepachtet hätten, wo ein sachlich fundiertes Urteil auf der schwankenden Grundlage widersprüchlicher Informationen kaum möglich ist, wie eben zurzeit in Sachen in Corona. Dass die moderne Technologie, gemeint sind vornehmlich wohl die Kommunikationsmedien, einen neuen Irrationalismus möglich macht, steht außer Frage. Dieser Irrationalismus verbreitet sich allerdings nicht trotz, sondern auf den Schwingen dieser Technologien mit rasanter Geschwindigkeit. Verschwörungstheorien mögen wuchern, aber wer verbreitet welche und wer nicht? Zurecht wurde in den sozialen Medien darauf hingewiesen, dass noch vor ein paar Wochen das Maskentragen als überflüssig, wenn nicht paranoid, diskreditiert worden war. So schnell kann aus Paranoia eine Regierungslinie und aus einer Regierungslinie Paranoia werden. Der Boden offizieller Wahrheiten rutscht und niemand kann umhin, es zu bemerken. Die Medien am allerwenigsten – und sie sollten es einfach zugeben.
*
Über die Autorin:
BETTINA GRUBER, Dr. phil. habil., venia legendi für Neuere Deutsche Philologie sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Vertretungs- und Gastprofessuren in Deutschland, Österreich und den USA. Ernennung zur außerplanmäßigen Professorin an der Ruhr-Universität Bochum 2005. 2015 bis 2017 im Rahmen des BMBF-Projektes FARBAKS an der TU-Dresden. Letzte Buchveröffentlichung: Bettina Gruber / Rolf Parr (Hg.): Linker Kitsch. Bekenntnisse – Ikonen−Gesamtkunstwerke. Paderborn 2015.
Weitere Beiträge von Bettina Gruber finden sich etwa in den Druckausgaben vom Sommer 2017, vom Winter 2017/2018 oder vom Frühjahr 2020.
Hier können Sie TUMULT abonnieren.
Für Einzelbestellungen klicken Sie bitte hier.