Vor rund zwei Monaten wurde der deutsche Journalist Billy Six bei Punto Fijo unter fadenscheinigen Vorwürfen vom venezolanischen Geheimdienst festgenommen und fristet seither seine Tage im berüchtigten Gefängnis »El Helicoide«. Der Frage, warum sein Fall auf deutlich verhalteneres Medienecho stößt als etwa der ähnlich gelagerte des »taz«-Journalisten Denis Yücel, geht unsere Autorin Bettina Gruber nach.
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»Zweierlei Maß« – wer dieses Stichwort eingibt, findet es in letzter Zeit häufig, und wie es scheint immer öfter, zur Kennzeichnung des politischen Tagesgeschehens, und vor allem seiner Bewertung durch Medien und Politiker.
Es wird, wörtlich oder sinnentsprechend, moniert für die Berichterstattung über Amberg und Bottrop (übrigens vielfach), für das vernachlässigte Gedenken an die vor 75 Jahren beendete deutsche Blockade Leningrads, für die Ungleichbehandlung von Asylanten und einheimischen Bedürftigen (»deutsche Rentner, die in Mülltonnen wühlen«, »Obdachlose, für die Flüchtlingsheime nicht geöffnet werden«), von Muslimen und allen übrigen Religionsgemeinschaften, von Schülern, die in Brennpunktschulen den Wahn der rotgrünen Beamten-»Eliten« ausbaden müssen, und deren Privatschulnachwuchs, und vieles mehr. Und täglich kommen neue Anwendungsfälle dazu.
Offenbar trifft die Wahrnehmung des unfairen Messens einen Nerv und ist mittlerweile so gängig, daß der Cicero optimistisch bereits das Ende dieser Praxis verkünden konnte: »Kein zweierlei Maß mehr«, titelte er optimistisch am 2. Januar, und: »…in der Berichterstattung Anfang 2019 hat sich offenbar etwas verändert: Gewalttaten werden thematisiert, egal von wem sie ausgehen.«
Es stimmt, daß etwas ins Rutschen gekommen ist, ganz langsam, millimeterweise schiebt sich die Masse politisch korrekten Gerölls talwärts. Daß sie als donnernder Erdrutsch abgeht, ist vorläufig dennoch nicht zu erwarten. Stattdessen gestaltet sich die Thematisierung von Unrecht und Gewalttaten mit den falschen Opfern (oder auch den falschen Tätern) nach wie vor äußerst zäh, während die Klientel der Blockparteien regelmäßig zur Ehre der Altäre erhoben wird. (Dies auch in eher skurrilen Fällen: Unvergessen ist mir der Fall der jungen Frau aus Mittweida, die sich, wie sich später herausstellte, anstelle herbeiphantasierter Jungnazis selbst ein Hakenkreuz in die Hüfte geritzt hatte, und der nichtsdestoweniger ein Ehrenpreis für Zivilcourage verliehen wurde. Heute würde sich ein Relotius-Preis anbieten, aber damals war dieser Säulenheilige aller moralisch hochstehenden Realitätsverweigerer noch nicht in vollem Glanze auf den Plan getreten.)
Wie diese Bewertung bei richtigen und falschen Opfern aussieht, kann man derzeit am Vergleich von politischer und Medienresonanz auf die Verhaftung zweier unterschiedlicher Journalisten sehen: Die Information, daß Deniz Yücel knapp ein Jahr in türkischer Haft verbringen musste, ist, glaube ich, bis ins letzte Mauseloch der Republik gedrungen. Man konnte eine Kenntnisnahme gar nicht vermeiden, es sei denn, man wäre blind, taubstumm und retardiert. Neben sämtlichen vor Besorgnis rotierenden Redaktionen der großen Zeitungen rotierte auch die große Politik. Sowohl Merkel als auch der damalige Außenminister Sigmar Gabriel setzten sich mit volltönenden Worten für den Türkei-Korrespondenten der Welt ein.
Antideutsche Aussagen, die sich nur unter erheblichem hermeneutischen Aufwand als nicht-rassistisch deuten lassen (»Völkersterben von seiner schönsten Seite« mag in einer satirischen Kolumne stehen, die Implikation bleibt ungeheuerlich) spielten dabei keinerlei Rolle ebenso wenig wie sein Applaus für die Bezeichnung Sarrazins als »lispelnde, zuckende Menschenkarikatur« – eine Aussage, die die taz bei Gericht teuer zu stehen kam.
Völlig anders liegen die Dinge nun bei dem seit November in einem berüchtigten venezolanischen Gefängnis einsitzenden Reporter Billy Six. Das hat Gründe, denn weder verfügt dieser über einen Migrationshintergrund, der den »ich-bin-weltoffen«-Exhibitionismus des durchschnittlichen deutschen Politikers und Publizisten ansprechen könnte, noch über den richtigen ideologischen Stallgeruch. Dabei wäre der Reporter, der bereits Anfang 2013 in Syrien einige Wochen lang inhaftiert war und für seine unkonventionellen Methoden bekannt ist, ein echter Fall für einen Journalistenpreis, wenn Courage und Eigenständigkeit tatsächlich und nicht nur vorgeblich einen Wert hätten. Leider, leider schreibt der gute Mann für das falsche Medium, nämlich für die Junge Freiheit. Im Gegensatz zum fröhlichen Verunglimpfen einer ganzen Nation oder zur freien Erfindung von »Jaegers Grenze« und allerhand anderem phantasievollen Allotria ist das natürlich unverzeihlich. In Folge dessen wurde die Verhaftung zwar nicht beschwiegen (ja, ja, es ändert sich was im Lande), aber meist mit dem Hinweis auf die dubiose Tätigkeit für dieses eine gefährliche Bürgerlichkeit wagende Blatt so ausgiebig garniert, daß der Leser zu dem Schluß kommen muß, Billy Six möge doch besser im venezolanischen Geheimdienstgefängnis verrotten. Den Vogel schoss wieder einmal der mittlerweile Relotius-befreite Spiegel ab. Die Überschrift lautete: »Deutscher Reporter in Venezuela verhaftet. Er berichtete unter anderem für die rechte Wochenzeitung ›Junge Freiheit‹: Der deutsche Journalist Billy Six wurde in einem Hotel in Venezuela verhaftet und sitzt nun in einem Geheimdienst-Gefängnis in Caracas.« Ja, so geht es einem, wenn man für rechte Wochenzeitungen berichtet, lieber Leser! Vielleicht auch, wenn man diese liest... Kaufen Sie daher lieber den Spiegel und informieren Sie sich dort über amerikanische Hinterwäldler (ohne Wald), von Angela Merkel träumende Flüchtlingskinder und hellseherische alte Damen, die über Land und Meer hinweg die angeborene Bosheit der Chemnitzer im Auge behalten. Wer will schließlich schon die ideologisierten Informationen einer rechten (!) Zeitung. Na, also!
Gegen Wikipedia kann man manches einwenden, aber manchmal treffen die Einträge den Nagel auf den Kopf. Um Beispiel der zum Stichwort »Doppelmoral«: »Entscheidendes Merkmal ist, dass mit ›zweierlei Maß‹ gemessen wird. Von einer Doppelmoral kann immer dann gesprochen werden, wenn unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe verwendet werden, obwohl die der Bewertung zugrundeliegenden Sachverhalte (strukturell) gleichartig sind.«
Von Außenminister (zweierlei Maas?!) oder gar Kanzlerin war bislang nichts zu vernehmen. Deniz Yücel dagegen schrieb am 24. Dezember auf Twitter: »Die Freiheit des Wortes gilt oder gilt nicht. Sie ist unteilbar. Darum selbstverständlich #FreeBilly…«. Übrigens ohne Hinweis auf dessen Tätigkeit für ein höheren Orts wenig genehmes Blatt.
Die Petition für die Freilassung von Billy Six zeichnen sie hier.
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Über die Autorin: BETTINA GRUBER, Dr. phil. habil., venia legendi für Neuere Deutsche Philologie sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Vertretungs- und Gastprofessuren in Deutschland, Österreich und den USA. Ernennung zur außerplanmäßigen Professorin an der Ruhr-Universität Bochum 2005. 2015 bis 2017 im Rahmen des BMBF-Projektes FARBAKS an der TU-Dresden. Letzte Buchveröffentlichung: Bettina Gruber / Rolf Parr (Hg.): Linker Kitsch. Bekenntnisse – Ikonen−Gesamtkunstwerke. Paderborn 2015.
Weitere Beiträge von Bettina Gruber finden sich etwa in den Druckausgaben vom Sommer 2017 oder vom Winter 2017/2018.
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