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Bernd Schick: HAND AUFS HERZ

Bernd Schick pflichtet dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, der seine Karriere als Redakteur eines von der DDR finanzierten und vom Verfassungsschutz beobachteten linksradikalen Verlags begann, in der Sorge um die Verrohung des allgemeinen Umgangstons entschieden bei. Warum aber nicht - so fragt unser Autor zum Ende seiner Intervention hin - mit gutem Beispiel vorangehen und endlich die einzig angemessenen Worte der Entschuldigung und Reue finden dafür, den 45. amerikanischen Präsidenten noch vor dessen Amtsantritt diplomatisch taktlos als "Hassprediger" herabgewürdigt zu haben?



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Als ungeschriebenes Gesetz unter Diplomaten gilt: Man muss nicht alles sagen, nur lügen darf man nicht. Daran hielt sich bis September 2015, dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, auch der Medienbetrieb. Ungewöhnliche Herausforderungen aber verlangen nach neuen Ideen. Dass unsere Gegenwart einer „neuen Erzählung“ bedarf, sollte sich als die zündendste unter ihnen erweisen.


Das „Erzählen“ setzte sich schlagartig an die Stelle vormals aufwendiger publizistischer Kärrnerarbeit. Es ist billiger und effizienter, weil es das Gefühl direkt, ohne den Umweg über etwaiges analytisches Denken, anspricht. Die Überwindung der Kluft von Kunst und Leben erfüllt sich so auf eine Weise, wie sich dies die Altlinken in ihren kühnsten Träumen nicht auszumalen wagten. Was soll man zu Relotius noch bemerken. Haben nicht die Granden seiner Zunft auch vor ihm schon im Dienst des Fortschritts das Blaue vom Himmel fabuliert? Der Mann hatte eben ein feines Näschen für die neuen Möglichkeiten seiner Profession. Er nutzte einfach sein Talent. Neidische Kollegen und prosaische Krümelkacker bringt das natürlich auf.


Die Ausnahmebegabung unter den Re­­portern steht, gewissermaßen als Erster unter Gleichen, fest auf dem Boden neulinker Legitimierung. Wenn die Tendenz stimme, bleibe die Übertreibung legitim, lautet deren Logik. Die Wahrheit verlange, soll sie die Menschen ergreifen, nach Überzeichnung. Diese dürfe der Grund nicht sein, das Ideal gleich mit infrage zu stellen, wie das die Rechten täten, die nichts ausließen, um es für ihre niederen Zwecke zu instrumentalisieren. Wer von „Lügenpresse“ spreche, verfalle in die Wortwahl der Reaktion.


Aber hören wir auf damit, auf dem „parataktischen Bum-Bum-Stil“ à la Relotius (Jan Wiele, FAZ, 11.01.2019) herumzureiten. Der journalistische Mainstream hat längst zu den Regeln der Diplomatie zurückgefunden. Ein simples Beispiel möge genügen, um zu illustrieren, wie man „fakt“, ohne „fake news“ zu produzieren:


Barack Obama triff sich aus Anlass eines vorösterlichen Besuchs bei der Kanzlerin, April 2019, mit jungen Menschen in der ESMT-Privathochschule, um sie auf dem Fridays-for-Future-Hype zum Klimaschutz zu ermuntern. "…ihr könnt die Welt verändern…Ihr lasst euren Großvater oder eure Großmutter auch nicht entscheiden, welche Kleider ihr tragen oder welche Musik ihr hören wollt. Warum lasst ihr sie dann bestimmen, in welcher Welt ihr leben sollt?", ruft er Ihnen zu. Die Schlagzeile in einem der gängigen Internetportale (freenet.de, 06.04.2019) dazu lautet: Obama an die Jugend: Lasst Opas nicht eure Zukunft bestimmen. Die Erwähnung der Omas scheint in Zeiten, in denen toxische weiße Männlichkeit für alles und jedes herhalten muss, ideologisch nicht opportun.


(Der ARD gelang das Kunststück, selbst mit der Wahrheit zu „faken“. Nach einer ausgiebigen Berichterstattung über eine „rechte Terrorgruppe“ in Chemnitz, wartet die Tagesschau vom 25.06. 2019 mit der Schlagzeile „Hass und Gewalt gegen Bürgermeister“ auf. Als Kronzeuge wird der Oberbürgermeister von Magdeburg angeführt, der mit „Heil Hitler“ und SS-Runen unterzeichnete Morddrohungen erhielt. Der Nachsatz, „polizeiliche Ermittlungen zeigen, der Absender ist nicht rechtsradikal, will die Tat aber einem Rechtsradikalen in die Schuhe schieben“, geht in der Suggestion durch das zuvor breit zitierte einschlägige Vokabular unter. Die einhundertzwanzigtausend Euro für Framing-Manual nebst Workshops für Mitarbeiter aus dem Gebührenaufkommen des öffentlich-rechtlichen Senders sollen ja nicht umsonst gewesen sein.)


Die wahre Avantgarde indes ist von anderem Kaliber. Sie erweist sich erhaben über Framing, Soft- und Hard-Fake aus den Verlagen und von den Fließbändern der Nachrichtenportale. Ihr Universalismus ist noch wirklich subversiv. Kühn überragt das Gebäude ihrer Visionen die kleingläubige Gegenwart. Vom Aufstand der Mutbürger künden ihre Manifeste. Als anderthalb Millionen Menschen aus unserer Zivilisation fernen, politisch instabilen und prekären Kontinenten, unkontrolliert, ins Landesinnere ziehen, wittern die einschlägig Sendungsbewussten ihre Chance, auf jene Bühne zu kommen, die sie dem allmählichen Verschwinden in der zweiten Reihe entreißt.


Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung wollte afrikanischen Flüchtlingen in Mecklenburg-Vorpommern Land für die Subsistenzwirtschaft zur Verfügung stellen und Fähren für sie im Direktverkehr zu den europäischen Küsten einrichten. Robert Menasse und Ulrike Guérot plädierten (zit. n. Deutschlandfunk, 25.02.16) dafür, dass die in Deutschland Ankommenden ihre „Städte nachbauen“, Neu-Aleppo, Neu-Damaskus, so wie die Europäer in der Neuen Welt einst New Hannover, New Hamburg, New Hampshire und New York zum „Teil ganz genau“ nach dem Vorbild ihrer Herkunftsorte errichteten.


Zu Beginn der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hatte der damalige Parteichef von Ostberlin ins Kino International zu einer Podiumsdiskussion geladen. Auf eine unliebsame Frage aus dem Publikum hin ließ er gegen deren Absender vernehmen: „Du musst dir mal merken, wer am Mikrophon sitzt, hat die Macht.“


Künstler Menasse wird sich für die dreiste Fälschung seines Hallstein-Zitats nicht erklären müssen. Weiß er doch die meinungsbildenden Eliten auf seiner Seite[1]. Guérot, aus dem Vergessen der von ihr gegründeten Denkfabrik erlöst, wird im April 2016 Professorin für Europapolitik in Krems. Seitdem reüssiert sie in den Talkshows und Nachrichtenportalen der Öffentlich-Rechtlichen und hat in Jürgen Habermas den prominenten Mitstreiter gefunden, ihre bigotte politische Hausfrauenkost philosophisch zu adeln. Heribert Prantl hat bis heute nicht offengelegt, wie und von wem er das Land im Norden der Republik nehmen wollte.


Schamlosigkeit ist, laut Sigmund Freud, ein Zeichen von Infantilismus. Schon vor hundert Jahren, am Beginn des Zeitalters der Massenhysterien, tat der Begründer der Psychoanalyse (Massenpsychologie und Ich-Analyse) sich schwer „dem Moment der Zahl eine so große Bedeutung einzuräumen“. In dem „sozialen Trieb“, aus dem heraus einzelne Menschen „sich zu einer gewissen Zeit für einen bestimmten Zweck zur Masse organisieren“, sah er etwas Abgeleitetes, dessen „Anfänge“ in einem „engeren Kreis, wie etwa in dem der Familie, gefunden werden können.“


Linker Aktionismus folgt dem Impuls der Umverteilung. Als fänden sie nicht aus ihrer späten Pubertät, rebellieren seine Protagonisten gegen ihre Herkunft. Sie wissen sich in einer Welt des Überflusses, deren Reichtum es nur auf alle gleichermaßen umzulegen gelte. Rechter Widerstand reklamiert die Notwehr für sich. Ihn beherrscht die Empörung früh zum Erwachsensein gezwungener Kinder, die sich um das Erbe und die Früchte ihrer Arbeit betrogen sehen.


Nicht die Hilfe für die in Gefahr Geratenen und wirklich Verfolgten, die im Wort „Willkommenskultur“ steckt, hat die Gesellschaft gespalten, sondern die mit dieser Begriffswahl einhergehende, von der politischen Klasse ihr zugemutete, rechtliche und kulturelle Minderung auf jene, die „schon hier leben“[2].


„Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wir haben es, Sie haben es in der Hand: Sprechen Sie mit Menschen, die nicht Ihrer Meinung sind! Sprechen Sie ganz bewusst mal mit jemandem, über den Sie vielleicht schon eine Meinung haben, mit dem Sie aber sonst kein Wort gewechselt hätten. Ein Versuch ist das wert. Das ist mein Weihnachtswunsch an Sie. Und das ist auch mein eigener Vorsatz für das nächste Jahr“, sagt unser Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache 2018. Und wiederholt seine Botschaft auf dem evangelischen Kirchentag in Dortmund, 20. Juli 2019:


„Es ist kostbar, dieses Vertrauen ineinander und zu uns selbst. Es erlaubt uns, gemeinsam friedlich zusammenzuleben; Begegnung und Austausch zu suchen, Verantwortung zu übernehmen, anstatt uns zurückzuziehen in stille Kämmerlein oder digitale Echokämmerlein.
Es ist kostbar, und es ist nicht selbstverständlich. Anderswo sehnen sich Millionen Menschen nach solchem Vertrauen. Sie mühen sich, oft unter größten persönlichen Risiken, es aufzubauen, wo es fehlt – und sie leiden, wo es zerstört wird; wo Hass, Brutalität und Willkür ganze Gesellschaften vergiften.“

Und wer mag ihm hier widersprechen.


Aber, mal „Hand aufs Herz“:


Bliebe es nicht an der Zeit, der höchste Repräsentant unseres Staates ginge mit gutem Beispiel voran?

Es verdiente höchsten Respekt und Anerkennung, der ehemalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier gäbe sich einen Ruck und entschuldigte sich beim 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten für seine seinerzeitige Anschuldigung, dass dieser ein „Hassprediger“[3] sei.


Angesichts der im August 2014 um die Welt gegangenen Bilder des vor seinen Schlächtern knieenden Journalisten James Foley verbietet sich jeder Vergleich eines durch die erforderlichen Stimmen seiner Partei legitimierten Wahlkämpfers in einer westlichen Demokratie, was immer man von ihm halten mag, mit den geistigen Hintermännern einer solchen Tat.


Durch eine Entschuldigung setzte er ein Zeichen, dass solcherart Schmähungen eines politischen Gegners in unserem Land nicht statthaft sind.




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[1] Im Handelsblatt (Nr. 13, 18./19./20. Januar 2019 – Thomas Hanke, Frack mit Warnweste) wird Menasse mit seinem Roman „Die Hauptstadt“ als Alternative zum Michel Houellebecqs „Serotonin“ hofiert.


[2] S.u.a. die damalige Familienministerin Manuela Schwesig im Deutschlandradio vom 10.12.2015.


[3] Anlässlich der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, am 4. September 2016, in Rostock: „Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte schon mehrfach vor Trump gewarnt. Jetzt greift er zu Worten, die mit Diplomatie eigentlich nichts zu tun haben. Bei einer Fragestunde zur Außenpolitik in Rostock bezeichnete er den Anwärter auf den Einzug ins Weiße Haus als ‚Hassprediger‘. Steinmeier erklärte, er schaue mit großer Sorge auf das ‚Ungeheuer des Nationalismus‘, das sich weltweit ausbreite. ‚Hassprediger‘ wie Trump, die Verantwortlichen des Brexit und die AfD eine, dass sie mit den Ängsten der Menschen Politik machten. Dies sei ein ‚Brandsatz für die Gesellschaft‘. Mit Blick auf die AfD und die bevorstehende Landtagswahl in am 4. September sagte Steinmeier: ‚Diesen Brandsatz kann man, den muss man in der Wahlkabine löschen‘“, vermeldet SPIEGEL ONLINE am 04.08.2016.




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Über den Autor:


BERND SCHICK, lebt bei Frankfurt/Main; Studium der Psychologie und Germanistik an der Humboldt-Universität; Stellvertret. Chefredakteur der Weimarer Beiträge; im Mai 1989 Ausreise in die Bundesrepublik. Lehrauftrag, Geschäftsleitung einer Medienagentur, Psychotherapeut. Letzte Buchveröffentlichung: Erfurths Ehre (Roman). Weimar/Rostock 2012.



 

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