Die Periodisierung der Erdzeitalter ist seit Menschengedenken die Domäne der Geologen, die in den Gesteinsschichten und Gletschern die Sedimente planetarer Zäsuren zu identifizieren suchen. Seit Beginn des neuen Millenniums haben sie politisch ambitionierte Konkurrenz bekommen: die apokalyptischen Reiter des Anthropozäns.
Glaubt man ihnen, verantwortet die industrielle Revolution ab der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts eine Entwicklung hin zu einem zivilisatorisch verursachten Klimawandel. CO2-Anstieg, Stickoxyde und Raubbau trügen die Schuld. Erderwärmung, Artensterben und Völkerwanderung seien deren unmittelbare Auswirkung. So sehr der Erklärungsansatz auch geeignet ist, Umweltbewusstsein und nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen zu schärfen, geht er doch am existenziellen Kern der postmodernen Erzählung in einer von wenigen Millionen nach dem Ende der Eiszeit auf 7,5 Milliarden Menschen angewachsenen Welt vorbei. Die Gefahren eines pansexuellen Universalismus, der angesichts massenhafter Zuwanderung neben der kulturellen und ethnischen Vielfalt des »Fremden« vor allem das »Eigene« nivelliert, verschweigen die Umwelt-Emissäre.
Als das Paradoxon unserer Spezies besticht, dass Panmixie nicht mehr, wie bei unseren tierischen Vorfahren, als vorübergehender Besucher auftritt, der dann lange nichts mehr von sich hören lässt, sondern als Dauergast das Verhalten bestimmt, wie Freud formuliert. Zugleich erfährt sich der Einzelne im Sexuellen respektive seinen fertilen Konsequenzen von Geburt und »Aufzucht der Nachkommen« in seiner animalischen, einen jeweiligen humanen Konsens herausfordernden Bestimmung. Die Notwendigkeit eines sozialen Regulativs ergibt sich aus diesem Dualismus.
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In den frühen Kulturen herrscht ein mütterliches Korrektiv, das ins Vaterrecht umschlägt, um die phallische Herausforderung der Söhne zu bändigen. Der Monotheismus mit seiner – durch das Stellvertreter-Opfer (Lamm) gemilderten – Lizenz des Patriarchen zur Sohnestötung ist sein Produkt. Die gegenwärtige universalistische Hybris verdankt sich der Auflösung des Paternalismus. Sie führt gewissermaßen zu einer »Bastardisierung« der Nachkommenschaft. Die Macht der Väter hat ausgesorgt, wo es nicht mehr genügend zu verteilen gibt. Wie die bronzezeitlichen Nomaden aus den Steppen Vorderasiens begeben die überzähligen jungen Männer sich auf Beutezug. Ihr Antrieb ist wie vor viertausend Jahren der Frauenraub. Die überkommene, religiös respektive kultisch-rituell vermittelte Kopulationsordnung liegt danieder, und mit ihr die soziale Kontrolle über die Fertilität.
In der Alten Welt setzte der Prozess Ende des achtzehnten, Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ein. Er fand seinen Höhepunkt zu dessen Ende hin. Seine politisch-wirtschaftliche Manifestation war der Kolonialismus. Die (nicht zuletzt feministisch) vorangetriebene Bestimmung der Frau über ihren Körper durch Pille und legalisierte Abtreibung milderte in der Folge auf dem Alten Kontinent den fertilen, nicht mehr familiar und dynastisch eingebundenen Wildwuchs ab. Die seit dem Mittelalter das Abendland prägende Ächtung unehelicher Geburt wurde obsolet. Deren Hintergrund blieb ja die materielle Absicherung des Nachwuchses. Das Verdikt diente der Vorbeugung einer Versorgung durch die »öffentliche Hand«.
In den Schwellenländern und den agrarischen und halbnomadisch geprägten Regionen der Welt wirkt heute jene Bastardisierung sozusagen phasenverschoben ohne das aus der europäischen Kultur erwachsene Korrektiv. Die gescheiterten Staaten verfügen nicht über die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Einbindung gleichermaßen von Mann und Frau, wie sie den hochtechnisierten Ländern zur Verfügung stehen. Sie müssen nach Wegen suchen, ihren überflüssigen Nachwuchs alimentieren zu lassen. Die ontologische Asymmetrie von Nord und Süd führt zu einem Kolonialismus unter umgekehrten Vorzeichen: Man erhöht den Zuwanderungsdruck auf die entwickelten High-Tech-Player der Moderne, um »Entwicklungshilfe« und politische Zugeständnisse zu erpressen.
Die Beziehung zwischen Mann und Frau ist – trotz ihrer jeweiligen normativ-moralischen Implikationen – immer eine zugleich zutiefst individuelle, sinnliche Angelegenheit. Anthropologisch gilt es Partnerwahl und sexuelle Attraktivität zu unterscheiden. Sie müssen nicht immer zusammenfallen. Der Reiz des Anderen/Fremden spielt eine wichtige Rolle bei der »Begattung«, sprich: beim Sexualkontakt. Die Partnerwahl indes unterliegt den Gesetzen der Vereinigung der Gleichen. Man spricht hier von »assortativer Paarung«. Assortative Extreme finden sich im europäischen Hochadel mit den inzuchtbedingten Blutererkrankungen z.B. des Sohnes des letzen russischen Zaren. Auch bei aschkenasischen Juden gibt es aus der Assortation bedingte Erbkrankheiten, die einen genetischen Vorabgleich für Heiratswillige empfehlenswert machen. Neuere Arbeiten führen das vermehrte Auftreten von Autismus in Silicon Valley auf die bevorzugte Partnerwahl der »Nerds« untereinander zurück. – In diesen Kontext gehört auch die Sonderung des Europäers in einer asiatischen Hochkultur wie Japan, also einer Gesellschaft mit ausgeprägter assortativer Paarungskultur.
Der »gemendelte« Einheitsmensch, sprich: der Verlust europäischer Diversität, resultierte aus der sich der Attraktivität des Fremden verdankenden Begattungskultur. Die »disassortative« Paarung bietet sich zugleich als Alternative für jene an, die aus dem assortativen Raster fallen, oder als gelebter Protest gegen die Normative der Herkunft (wie in der 68er-Rebellion). Ihr Reiz erschöpft sich aber, wenn die Exotik sich massiert und somit als das Gewöhnliche wieder veralltäglicht respektive sich in der Bindung als nicht verträglich erweist. Hier ist das Umschlagen in ein assortatives Paarungsverhaltens zu verzeichnen, wie es bei der Generation der Frauen heute spätestens beim Eintritt in das dritte Lebensjahrzehnt wieder zu beobachten ist. Wenn die biologische Uhr auf die Entscheidung in der Familienplanung drängt, arrangieren promiskuitive Tendenzen sich monogam. Bildungsgrad und sozialer Status, Leistungs- und Karrieredruck spielen hier sicherlich eine entscheidende Rolle. Auch die gleichgeschlechtliche »Ehe« spiegelt – unter dem Vorzeichen der Legitimation sexuellen Andersseins – den Trend assortativer Rückbesinnung.
Das für die existenzielle Basis Wirkmächtigere liegt in der Segregation der Zugewanderten und der mit ihr einhergehenden Verdrängung und kulturellen Überfremdung. Die Eroberung der Deutungshoheit über das, was das »Eigene« ist, gewissermaßen über die Etymologie des kollektiven Gedächtnisses, bleibt, ideologisch gesehen, ihr Agens. Die Politik des Westens ignoriert das intuitive Wissen des Gemeinwesens um die Konsequenzen der Unumkehrbarkeit, systemisch gesprochen, die Parameter sozialer Entropien. In der Furcht, die angestammte Bevölkerung gegen ihre Landsleute mit ausländischen Wurzeln aufzubringen, schüttet sie das Kind mit dem Bade aus. Die »bunte«, sinnfreie, wie aus dem Zufall generierte Textur unserer Gegenwart findet sich so der identitären Gewalt eines monokonfessionellen Narrativs ausgeliefert: Der Islam hat die Assortation politisch instrumentalisiert. Die forcierte assortative Fruchtbarkeit setzt er gezielt als Waffe gegen das Integrationsbestreben der Aufnahmeländer ein. Der ursprüngliche kopulative »Wettbewerb« in paternaler Verantwortung erfährt sich in der neuen Heimat als ausgesetzt. Anders als in den Herkunftsländern der Zugewanderten greifen die hohen Standards europäischer Sozialleistungen. Die prekär assortativ Vermehrten finden sich unter dem nämlichen, ursprünglich den »Bastardisierten« vorbehaltenen Rettungsschirm. In seinem Schatten organisieren Funktionäre und selbsternannte religiöse Führer, gestützt auf europäischen Selbsthass und die Förderung durch die Hegemonialmächte des Nahen und Mittleren Ostens, die gesellschaftliche Hegemonie. Kopftuch, Schleier und minderjährige Bräute sind deren Insignien. Die Delinquenz ihrer »jungen Krieger« zeugt, wie in Flensburg, Freiburg, Kandel und Chemnitz, von archaischer Grausamkeit.
Ihre, jedem Diskurs auf Augenhöhe der Moderne (sprich: Identität in der Vereinzelung) wehrenden Totschlagargumente sind: Diskriminierung, Minderheitenschutz, Islamophobie, Rassismus. Enkulturation ist deshalb gleichsam das Gebot der Stunde. Es ist an der Zeit zu europäischer Selbstbehauptung und »Individuation«, um mit C. G. Jung zu sprechen. Zu fragen bleibt nach den Ausführungsbestimmungen universalistischer Entgrenzung. Die Alimentierung eines ungebremsten Bevölkerungswachstums bei kultureller Selbstaufgabe durch den Westen kann wohl auf Dauer nicht die Lösung sein. China hat die Geburtenkontrolle vorgelebt. Aber vielleicht haben die Strategen der regelmäßig stattfindenden UN-Klima-Gipfel neben dem bösen weißen Kapitalismus als Ursache allen ökologischen Übels dieser Welt ja das demographische Kalkül der Zuspätgekommenen bei ihren Quotierungen im stillen Kämmerlein schon einbezogen. Nur ihr postzivilisatorisches, antiwestliches Ressentiment hindert sie noch daran, es öffentlich zu kommunizieren.
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Inwieweit die Weitergabe erworbener Eigenschaften, wie sie die auf Lamarck zurückgehende Vererbungslehre postuliert, auf mentale, charakterliche und leistungsbezogene Dispositionen übertragen werden kann, lässt sich gegenwärtig öffentlich nicht seriös diskutieren. Die Rassismus-Invektive erstickt jeden diesbezüglichen Diskurs. Im Gegensatz dazu steht eine gewisse intuitive Plausibilität im Alltagsbewusstsein. Zuschreibungen wie: »Du kommst nach deinem Vater, Onkel, deiner Mutter, Großmutter« u. dgl. finden sich in noch jeder Familienlegende.
Ihre genetische Konnotation erschließt sich, so sich diese häufig auf Vorbilder in der Generationsfolge beziehen, die zum Zeitpunkt der Geburt der bezeichneten Angehörigen nicht mehr lebten oder postnatal nur einen sporadischen Kontakt, etwa nach Scheidungen oder Trennungen im frühsten Kindesalter, zu diesen pflegten. Sodass eine als »Lernen am Modell« sich erschöpfende Erklärung hier zu kurz griffe.
Beiträge von Bernd Schick finden sich etwa in den TUMULT-Ausgaben vom Winter 2017 oder Sommer 2018, zu einem verwandten Gegenstand auch der Text »Triebschicksal Assimilation -
Zur politischen Anthropologie von Zuwanderung« in der kommenden Winter-Ausgabe.
Über den Autor:
BERND SCHICK, lebt bei Frankfurt/Main; Studium der Psychologie und Germanistik an der Humboldt-Universität; Stellvertret. Chefredakteur der Weimarer Beiträge; im Mai 1989 Ausreise in die Bundesrepublik. Lehrauftrag, Geschäftsleitung einer Medienagentur, Psychotherapeut. Letzte Buchveröffentlichung: Erfurths Ehre (Roman). Weimar/Rostock 2012.