Es gibt kein Entkommen! Der Begriff der Brandmauer ist unter den von Politikern benutzten Metaphern klar die Nummer eins. Sie müsse stehen in Abgrenzung zur „Schwefelpartei“ AfD, dürfe nicht bröckeln usw.! Der Vergleich bedingt die Prämisse, die AfD als einen potentiellen politischen Brandherd zu betrachten, gegen den man sich schützen müsse.
Das (gut getarnte) Fenster in der Brandmauer: Ausnahme für Goethe Senior Foto: Bernd Fischer
Merz hatte im Sommerinterview mit Theo Koll jedoch lediglich etwas bereits längst Bestehendes konstatiert, nämlich eine Kooperation der CDU (und anderer Parteien) mit der AfD auf kommunaler Ebene: „Wir sind doch selbstverständlich verpflichtet, demokratische Wahlen zu akzeptieren. Und wenn dort ein Landrat, ein Bürgermeister gewählt wird, der der AfD angehört, ist es selbstverständlich, dass man nach Wegen sucht, wie man dann in dieser Stadt weiterarbeiten kann.“ In der grünrot gefärbten Welt der idealen Brandmauern hat dies natürlich sofort zu einem gewaltigen Proteststurm geführt mit Brandmauer-Metaphern in allen Varianten; insbesondere auch unter seinen Partei-„Freunden“. Und eine Agnes Strack Zimmermann (FDP) verkündete feierlich über Twitter: „Die Kommunalpolitik ist die Wiege unserer Demokratie. Gerade hier darf die Brandmauer zur antidemokratischen AfD nicht fallen.“
Was genau ist eigentlich eine Brandmauer?
Höchste Zeit also, einmal die Anforderungen, die an eine (materielle) Brandmauer gestellt werden, und die Umgehungsmöglichkeiten genauer unter die Lupe zu nehmen.
Laut Wikipedia handelt es sich bei einer Brandmauer um eine Wand, „die durch ihre besondere Beschaffenheit das Übergreifen von Feuer und Rauch von einem Gebäude oder Gebäudeteil zu einem anderen verhindern soll“. Selbstredend wird die Beschaffenheit einer Brandmauer aufwendig baurechtlich geregelt. Wikipedia nennt u.a. die folgenden grundlegenden Anforderungen, die an eine Brandmauer gestellt werden:
Brandwände müssen ausreichend dick sein und durchgehend in allen Geschossen übereinander angeordnet sein
Brandwände sind bis in den Dachbereich (oder sogar darüber hinaus) fortzuführen.
Brandwände dürfen nicht durch brennbare Baustoffe unterbrochen werden oder Hohlräume aufweisen
Öffnungen in außenliegenden Brandwänden sind unzulässig.
Auf Basis dieser Anforderungen spricht tatsächlich einiges für die Merz‘schen Kritiker. In der Tat wäre es etwas merkwürdig, wenn ausgerechnet das unterste Stockwerk (die kommunale Ebene) ohne Brandmauer versehen wäre. Offensichtlich ist auch, dass sich zwischen Herrn Merz und seinen Amtskollegen auf der AfD-Seite eine Brandmauer erstrecken muss. Einer Öffnung im Merz‘schen Sinne stehen also bedeutende Hindernisse im Weg! Allerdings werden in den Anforderungen keine expliziten Aussagen über Risse getroffen! Setzt man also einmal voraus, dass das Funktionieren einer Brandmauer zumindest nicht zwangsläufig von Rissen beeinträchtigt wird, dann lehrt doch etwa die Geschichte des einst in angrenzenden Häusern lebenden babylonischen Liebespaares Pyramus und Thisbe, wie man mittels eines solchen Mauerrisses effizient kommunizieren kann. Ihre Zimmer wurden nämlich von einer Wand (war es eine babylonische Brandmauer?) getrennt, die eben einen solchen Riss aufwies.
Kannten die Alten Griechen Brandmauern?
Der römische Dichter Ovid beschreibt dies sehr anschaulich in den Metamorphosen (Kapitel 4, Übersetzung von Michael von Albrecht): „Mit der Zeit wuchs die Liebe; sie hätten auch Hochzeit gefeiert, aber die Väter verboten es. Eines konnten sie nicht verbieten: Beide waren gleichermaßen in Liebe entbrannt, die ihnen den Verstand raubte. (…) Ein feiner Riß („rima“) durchzog die gemeinsame Wand beider Häuser. Den hatte sie einst bekommen, als sie gebaut wurde. Diesen Fehler (…) saht ihr zuerst, ihr Liebenden –was merkt Liebe nicht?—, und machtet ihn zum Weg für eure Stimme.“ Liebe Leser, erahnen nicht auch Sie, wie diese Zeilen den Weg für eine einfühlsame Kommunikation zwischen Friedrich Merz und Alice Weidel vorzeichnen? Die Geschichte von Pyramus und Thisbe endete zugegebenermaßen tragisch, weil sich ein blutrünstiger Löwe einmischte—war es etwa ein bayerischer? Aber wer weiß, wie sie diesmal ausginge!
Goethe am Fenster
Vielleicht ist aber auch nur ein etwas pragmatischer Umgang mit den Anforderungen an eine Brandmauer vonnöten. Hier weist vielleicht ausgerechnet die von einer kunterbunten Koalition (grün-gelb-rot + VOLT) regierte Stadt Frankfurt den Weg. Ihre berühmteste Brandmauer ziert nämlich in der Tat ein kleines Fenster! Selbstverständlich spreche ich von der Brandmauer des Goethe-Hauses, die übrigens den zweiten Weltkrieg einigermaßen unbeschadet überstanden hat. Sie wurde errichtet als Goethes Vater zwei ererbte Fachwerkhäuser zu einem deutlich erweiterten Haus verbinden und ausbauen ließ. Seine Beziehungen innerhalb Frankfurts müssen so ausgezeichnet gewesen sein, dass man ihm den Einbau dieses Fensters unter Missachtung der bereits damals bestehenden Brandschutzregeln durchgehen ließ. Man erzählt sich, dass Johann Caspar Goethe—übrigens ein gelernter Jurist!— so die Kontrolle über die Passanten, die sich über den Großen Hirschgraben seinem Haus näherten, behalten wollte. Wollen wir uns heute über eine so geringfügige Normabweichung aufregen, wo sich doch selbst Klimakleber für ihr hochmoralisches Handeln großzügige Ausnahmen einräumen, wenn sie etwa zum Entspannen von der stressigen Kleberei mal eben nach Bali jetten!? Es handelt sich ja, wie bereits erwähnt, nur um ein kleines Fenster, und, man muss genau hinschauen, um es überhaupt zu erblicken, da es gänzlich von Efeu umrankt ist. Vielleicht schämt man sich seiner in Frankfurt mittlerweile und will es verbergen, weil man der Ansicht ist, dass mit ihm die „Brandmauer fällt“? Aber es ist nun einmal da, und es ließe sich öffnen.
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Über den Autor: Bernd Fischer studierte Physik und Mathematik mit anschließender Promotion in Köln und Boca Raton (USA), anschließend war er viele Jahre in leitenden Positionen in der Finanzbranche tätig. Er ist Autor von zahlreichen Artikeln und Fachbüchern zur Finanzmathematik. Seit 2019 arbeitet er als Schriftsteller. Er publiziert regelmäßig in unterschiedlichen Zeitschriften und Blogs. Darüber hinaus betreibt er einen eigenen Blog (www.philippicae.de).
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