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Beate Broßmann: THINGS TO COME – EIN FILM NACH H.G. WELLS

Aktualisiert: vor 3 Tagen

Das Œuvre des britischen Schriftstellers und Universalisten H. G. Wells (1866-1946) ist immens. Und viele von seinen Büchern sind im vergangenen Jahrhundert ins Deutsche übersetzt worden, sowohl Romane als auch Essaybände und Sachbücher. (In meinem Aufsatz ist mehr über Wells‘ sozialphilosophische Gedanken zu lesen.) Ausgerechnet seine Dystopie „A shape of things to come”, die 1933 erschien und die er als sein wichtigstes Werk bezeichnete, weil in ihm all seine Überzeugungen und Prophezeiungen konzentriert seien, wartet bis heute auf eine Übertragung. Aber bereits 1936 wurde sie – unter seiner dramaturgischen Mitwirkung – vom Regisseur William Cameron Menzies verfilmt und ist sowohl in schwarz-weißer als auch in nachkolorierter Fassung auf Englisch und Deutsch unter dem Titel „Things to come“ bzw. „Was kommen wird“ auf youtube zu sehen. Beschrieben wird seine Handlung bei Wikipedia unter dem deutschen Titel, so daß ich mir Inhaltsangaben weitgehend spare und mich auf seine Einordnung und Bedeutung für uns Heutige beschränke.




Die neue Welt ist nicht besser als die alte. H.G. Wells, 1900
Die neue Welt ist nicht besser als die alte. H.G. Wells, 1900


Es ist ein mutiger und selbstbewußter Entwurf und Rundumschlag, was der Schriftsteller den Kinobesuchern der ersten Generation da zumutet. Ästhetisch ist er noch der Stummfilmzeit verhaftet: Theatralik und Filmmusik muten noch ganz expressionistisch an. Pathos war in dieser Zeit nicht nur in Deutschland Mode.


Der Film ist in vier zeitliche Perioden eingeteilt, die als Kapitel mit eingeblendeten Erklärungstexten ausgewiesen werden. Er spielt in der fiktiven Stadt „Everytown“. 1940 beginnt ein Krieg, der sich über zwanzig Jahre hinziehen wird. Einen Verursacher benennt der Autor nicht. Schlachten im Stil des 1. Weltkrieges werden in Szene gesetzt. 1966 bricht eine globale Epidemie aus, im Verlaufe derer jeder Zweite stirbt. Die Menschen sind panisch und denunzieren jeden Infizierten, wissend, daß er umgehend erschossen wird. 1970 ist Everytown eine Ruinenstadt, in der alle Mittel der Zivilisation – Wohnraum, Medizin, Energie, Verkehrs- und Lebensmittel – zerstört sind. Ein Warlord eignet sich die Herrschaft über das Stück Land und die verbliebenen Bewohner an und hat nichts Besseres zu tun, als den unterbrochenen Krieg mit den „Hügelleuten“ wiederaufzunehmen, um an Öl und Bodenschätze heranzukommen und die funktionsunfähigen Flugzeuge reparieren zu können. Der „Chefboss“ ist primitiv und brutal, beraubt die Bewohner und übt die Befehlshoheit über eine Wächtergruppe von Galgenvögeln aus, die mit einem kläglichen Rest an Waffen die Bevölkerung tyrannisiert.


Im dritten Kapitel schwebt ein Sendbote der neuen Welt namens John Cabel mit einem futuristischen Flugzeug auf Everytown herab. In phantasiereichem Kostüm erklärt er dem Paria, daß er Sendbote der „Weltverständigung“ sei, die auf der ganzen Erde Vernunft und Gesetz durchsetzen wolle, Wissenschaft, Handel und Ordnung befördern und unabhängige Staaten abschaffen würde. Dem Chefboss, der sich als Führer eines unabhängigen Staates darstellt, dessen Grund und Boden Volkseigentum sei, teilt er selbstbewußt mit: Euer kleiner kriegerischer Staat muß verschwinden wie die Saurier und die Säbelzahntiger. Es gibt nur noch die neue „Welt der vereinten Flieger“ mit ihren „Wächtern über die Welt“ an der Spitze (die ihre Flugzeuge kurioserweise in Basra produzieren lassen).


Dem Warlord fällt auf einmal ein, daß die Wissenschaft der Feind von allem, was natürlich ist, sei. Die „Wächter über die Welt“ seien doch zur Hälfte Maschinen und lediglich eine Handvoll Männer – wie sie selbst. Natürlich irrt er. Eine Armada von futuristischen Flugzeugen kommt, versetzt Everytown durch „Friedensgas“ dornröschenhaft in den Schlaf und übernimmt das Regime. Cabel verkündet, er werde die Welt neu ordnen, die Banditen verhaften, die Besiedlung der Erde neu organisieren, den Wissenschaften den ihnen gebührenden Platz einräumen und der Erde, den Meeren und dem Himmel ihre Schätze entreißen.


Dann nimmt sich der Regisseur Menzies sechs Minuten Zeit, um bei marschartiger, vorwärtsdrängender orchestraler Musik eine riesige Fabrikhalle zu zeigen, in der automatisierte Bewegungen immenser eiserner Maschinen in großer Vielfalt und Form etwas produzieren, das nicht zu sehen ist. Beeindruckend sind die Bilder, die entstehen, wenn Großes filmisch verkleinert und Kleines vergrößert wird und Hintergrund und Vordergrund ihre Rolle tauschen. Alles geht ineinander über, bricht ab und setzt neu an. Die Ästhetik heutiger Musikvideos nahm wohl hier ihren Anfang. Eine Ästhetik, die die reale Kausalität auf den Kopf stellt: Hier herrscht das Prinzip „function follows form“. Im monumentalen Stummfilm „Metropolis“ arbeitete schon Fritz Lang 1927 mit diesen Pathosformen der Technik. Und in den USA beendete Charly Chaplin ebenfalls im Jahr 1936 mit seinem Klassiker „Modern Times“ einen Film der gleichen Gattung, für dessen Herstellung er drei Jahre benötigte. Es ist heute kaum vorstellbar, wie diese anspruchsvollen Kulissen damals überhaupt herzustellen waren. Die Filmemacher holten alles aus den damaligen limitierten Möglichkeiten der Filmtechnik heraus, und die Ergebnisse begeistern noch heute.


2036. In „Things to come“ kommt es, wie es kommen muß: Der Gigantismus und die Chuzpe jedem menschlichen Maß gegenüber führen dazu, daß die Bevölkerung ihre Begeisterung verliert, vom Fortschritt (und der ausschließlichen Bequemlichkeit für die Oberschicht) genug hat und beginnt, den Weltstaat abzulehnen. Ein Charismatiker nimmt den Unmut der Unterschicht auf und verwandelt ihn in Widerstand. Die Kamera schwenkt über Everytown, das immer noch dunkel und verwüstet wirkt, und bleibt stehen beim Eingang in einen Tunnel, der sich als Tor zu einer unterirdischen Stadt erweist: beeindruckende Großarchitektur im Bauhausstil, gläserne Außenlifte, Beförderungsbänder, alles automatisiert – die smart city, die sich die heutigen Möchtegern-Weltenlenker für ihre Großstadtbewohner wünschen.


Der Aufrührer tobt: „Diese Welt ist nicht besser als die alte. Ich rebelliere gegen diesen Fortschritt! Was hat diese Zivilisation für uns getan? Maschinen und Wunder. Sie haben diese Riesenstadt für uns gebaut – ja! Und das Leben verlängert – ja! Sie haben die Natur erobert, um eine große weite Welt zu erschaffen. Ist die besser als die Welt in der guten alten Zeit, in der das Leben kurz und schmutzig war und jeder sich selbst der Nächste?“ Er will jetzt rebellieren, da die Weltraumkanone fertiggestellt ist und das herrschende Zivilisationsmodell in den Weltraum exportiert werden soll. Der Anführer wendet sich auf Großleinwand an die Menge in der unterirdischen Stadt: „Wozu dieser Fortschritt? Warum immer weiter mit dem Fortschritt? Immer weiter und weiter? Wir fordern einen Stopp!... Fortschritt ist nicht Leben. Er sollte nur unserem Wohlergehen dienen…. Sind wir denn niemals zufrieden und niemals frei? Eine Zeit wird kommen, wenn auch Ihr gezwungen werdet, Euer Glück auf fremden Planeten zu suchen. Wo eine triste, erbarmungslose Welt Euer Schicksal beschließt. Stoppt den Fortschritt, und zwar ein- für allemal! Laßt das wissenschaftliche Zeitalter heute enden! Diese Weltraumkanone ist ein Symbol des Bösen. Zerstören wir sie! Jetzt!“


Viele Bürger folgen seinem Appell, und kurz bevor sie an der Weltraumstation ankommen, startet die elektrisch betriebene Rakete ins All. Am Schluß resümiert der Enkel John Cabals, der jetzige Weltenlenker, mit fanatischem Blick in die Kamera: Jeder einzelne Mensch sterbe irgendwann. „Aber für die Menschheit gibt es kein Ende. Sie macht weiter. Erkenntnis folgt auf Erkenntnis. Wir haben unseren kleinen Planeten erobert. Von jetzt an befreien wir uns von Beschränkungen und Unwissenheit. Und bald die anderen Planeten. Und zuletzt durch die Grenzenlosigkeit zu den Sternen. Und wenn wir die Tiefe des Alls und all die Mysterien der Zeit erobert haben, stehen wir immer noch am Anfang…. Entweder dies oder das. Entweder das Universum oder das Nichts. Was soll es sein? Was soll es sein?“


Für die dreißiger Jahre waren diese Erkenntnisse über die Eigendynamik von technischen Entwicklungen sicherlich hellsichtig. Das faustische Streben der Gattung Mensch war zwar schon lange bekannt, aber die „Dialektik der Aufklärung“ erblickte erst 1944 das Licht der Welt. Hier wurde den Intellektuellen erklärt, daß der einst mythische Zugang zur Welt zwar rational aufgeklärt sei, aber mit der stufenweisen Vervollkommnung der Naturbeherrschung schlage Aufklärung als „Herrschaft über eine objektivierte äußere und die reprimierte innere Natur“ selbst in Mythologie zurück. „Wie die Mythen schon Aufklärung vollziehen, so verstrickt Aufklärung mit jedem ihrer Schritte tiefer sich in Mythologie“, in eine Mythologie, die im Positivismus des Faktischen kulminiert (Wikipedia).

„Die Perfektion der Technik“ von Friedrich Georg Jünger blies 1946 in das gleiche Horn. Und es folgten viele weitere Warner vor dem technokratischen Denken und Tun. Aber es sollte alles nichts nützen. Die Geldelite der Neureichen fällt heute, als könne es gar nicht anders sein, in den Modus des Machbarkeitswahns und der Gigantomanie zurück. Andere Utopien haben sie nicht. Es gibt ja auch keine mehr. Womöglich bedienen sie sich tatsächlich der Ideen von Science-Fiction-Autoren. Der Buchtitel des Visionärs H. G. Wells „The New World Order“ läßt diesen Verdacht aufkommen.

Heute streben Superreiche die Transformation der Menschheit als Ganzes und die technologische der Menschen als Einzelne unter einer Weltregierung an (die sich selbstverständlich aus ihren Kreisen rekrutiert). Andere wollen in kurzer Zeit den Mars und die Jupitermonde mit Erdmenschen besiedeln – für den Fall, daß das Experiment „Homo sapiens auf dem Planet Erde“ doch noch schiefgeht.


Mehr Bescheidenheit!, möchte man rufen. Mehr Demut!


Solche Filme und Bücher sollten dringend in Bibliotheken der alternativen Gemeinschaften aufbewahrt und weitergegeben werden – denn diese entstehen, der jetzigen Lage nach zu urteilen, ganz gewiß.


„Things to come“, 1936, Regisseur: William Cameron Menzies, 110 Minuten



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Über die Autorin: Beate Broßmann, 1961 in Leipzig geboren, erfolgreiches Philosophie-Studium, vor der „Wende“ in der DDR Engagement für demokratische Reformen, später Mitglied der oppositionellen Vereinigung „Demokratischer Aufbruch“.





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