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Beate Broßmann: QUERFRONT! EINE REZENSION ZUM NEUEN BUCH VON MANFRED KLEINE-HARTLAGE

Drei Titel für eine neurechte Programmatik – der Bücherherbst verspricht folgenschwere Lektüre. Auftakt einer kleinen Reihe Rezensionen unserer Autorin Beate Broßmann. Fortsetzung folgt nächste Woche.



Die Neue Rechte wird grundsätzlich und strategisch. Das wurde Zeit. Der Sympathisant oppositionellen Gedankengutes mußte lange warten, bis er die hinter Politik und tagesaktuellen Statements liegenden Grundlinien und -ziele der Mainstreamgegner vorgestellt bekam. Jetzt ist er in die Lage versetzt, kompetent zu entscheiden, ob er Wege und Ziele der neurechten Bewegung teilt und sich mit ihr identifizieren – und das heißt auch: sie in der institutionellen Form der AfD – wählen kann.


Erfreulich ist an allen drei Büchern, daß der Definitionsmacht des linksliberalen Mainstreams ein Schnippchen geschlagen wird und der Begriff „rechts“ bewußt zur Selbstcharakterisierung genutzt und positiv konnotiert wird. Der Etikettierung allen konservativen und neurechten Gedankengutes im neuen Verfassungsschutz-Jargon als „gesichert rechtsextrem“ wird dadurch der Wind aus den Segeln genommen. Ich bin rechts – und das ist auch gut so. Es geht wieder um Inhalte.

Dem Diskussionsverbot oppositioneller Positionen stellen die drei Autoren eine Diskurskultur entgegen, die in unserer Zeit ihresgleichen sucht. Es sind ja nicht nur rechte Positionen jeder öffentlichen räsonierenden Reflexion entzogen worden – auch genuin konservative, sich als links oder linksliberal verstehende und linksextreme Überzeugungen werden nicht diskutiert. Es wird einfach gar nicht mehr diskutiert. Die Linken haben zur Wahrheit gefunden. Sie haben recht, weil sie moralisch gut sind, weil sie Humanisten und Menschenrechtsvertreter sind. Ideologeme wie Diversität, Multikulturalität, Inklusion, Wokeness, Gender-Mainstreaming und Feminismus, Antirassismus, Globalisierung, Antiputinismus, Egalitarismus, Klimakatastrophe und kulturelle Aneignung (man merke auf: Pluralismus gehört nicht mehr zum linksideologischen Repertoire) sind der Weisheit letzter Schluß: wer diese Begriffe und ihre Konnotationen hinterfragt, hat einen schlechten Charakter und führt Böses im Schilde. Ihm darf kein Podium gegeben werden. Er muß bestraft und aus dem öffentlichen diskursiven Verkehr gezogen werden. Eine solche Einstellung als Vorboten totalitärer Gesellschaftsverwaltung zu interpretieren, dürfte nicht übertrieben sein. Indem sich viele Journalisten stolz einen Haltungsjournalismus auf die Fahnen geschrieben haben, machen sie sich zum ausführenden Arm dieser Art von Postdemokratie.


Querfront!


Beginnen möchte ich mit der Vorstellung von Manfred Kleine-Hartlages (K.-H.) neuem Büchlein „Querfront! Die letzte Chance der deutschen Demokratie“, welches zu Beginn dieses Jahres im „Verlag der 300“ erschienen ist.


Zum Vorwurf, man wisse nicht, worauf die Rechte politisch und gesellschaftlich hinarbeitete, schreibt K.-H., dass deren identitätsprägende Skepsis gegenüber der Idee, die Gesellschaft sei planmäßig und bis in die Grundlagen hinein gestaltbar, dazu führe, „daß sie erst dann weitreichende Programme entwickelt, wenn ihr sozusagen nichts anderes übrigbleibt.“ (Seite 65) Alles Utopische steht ja in dem Ruch, praktisch nolens volens und ohne Ausnahme im Totalitären zu münden. Nun: der Zeitpunkt scheint gekommen zu sein!


Die politische Klasse hat sich von dem Modell politischer Konkurrenz, von dem eine Demokratie lebt, weitgehend verabschiedet. Was uns an Meinungsverschiedenheiten zwischen den etablierten Parteien noch vorgeführt wird, sind bestenfalls Varianten ein und derselben Ideologie, nicht selten sogar bloße Schaukämpfe, die dem Publikum vorgaukeln sollen, bei den Wahlen, einem für die politische Klasse eher lästigem Überbleibsel aus vergangenen Tagen, gehe es noch um die Entscheidung zwischen politischen Alternativen, und es sei der Wähler, dem diese Entscheidung obliege. (7)

Dieser Einstieg in das Thema ist fulminant! Und K.-H.s Text liefert einmal mehr bewährte analytische Qualität. Der Analyse-Teil, aus dem man fortwährend zitieren möchte, so logisch und stringent sind seine Ableitungen, umfaßt allerdings 160 Seiten der insgesamt 221. Erst im Schlußteil kommt der Autor zum Titel gebenden Thema. Zudem ist der Aufbau des Gesamttextes leider nicht stringent geraten.


Zu Beginn definiert der Autor den von ihm verwendeten Terminus „Kartell“: Er steht zum einen für die etablierten Parteien mit Ausnahme der einzigen Oppositionspartei AfD. Zum anderen bezeichnet er „die Konstellation, in der die politische Klasse sich im Gleichklang mit Medien, Wissenschaft, Justiz, Kirchen, Gewerkschaften und sogenannten zivilgesellschaftlichen Organisationen einerseits, global operierenden Konzernen und deren Lenkern bzw. Letzteigentümern andererseits befindet.“ (10) Sie alle gerierten sich als Hohepriester der Alternativlosigkeit. Die endgültige Vernichtung des politischen Pluralismus sei nur noch durch das lagerübergreifende Zusammenwirken aller oppositionellen Kräfte aufzuhalten, d.h. für K.-H.: durch eine Querfront aus oppositionellen Linken und oppositionellen Rechten. Die „Mainstream-Linke“ in Form der Linkspartei, der Grünen und der SPD rechnet er zum Kartell. Mainstream-Linke und oppositionelle Linke verhielten sich heute so wie vor einhundert Jahren die Bolschewiki zur Menschewiki.


In einer pluralistischen Gesellschaft, die der leidenschaftliche Demokrat K.-H. immer noch für wiederherstellbar hält, bildeten linke und rechte Positionen den weltanschaulichen Rahmen. Er hält es deshalb nicht für wünschenswert, daß eine der beiden Fraktionen die andere als Feind betrachtet, den es zu eliminieren gilt. Bewährter klassisch-demokratischer Manier will er alle politischen Standpunkte repräsentiert sehen. Jeder Interessenvertreter soll den anderen als Konkurrenten empfinden, schlimmstenfalls als Gegner. Eine rein konservative oder rein linke Gesellschaft ohne Gegengewicht würde gleichermaßen „zu selbstgerechter Erstarrung tendieren“ (62). Eine gelingende Demokratie bedürfe beider Flügel der Opposition.


K.-H. beschreibt die politische Lage im Deutschland der Gegenwart wie folgt:


Die BRD ist eine Art Modellstaat, wenn auch nur in dem negativen Sinne, dass sie anderen Staaten der westlichen Welt idealtypisch vormacht, wie eine politische Klasse ein blühendes Gemeinwesen zugrunde richten kann, ohne in Wahlen dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Möglich ist dies wegen der Kartellbildung innerhalb der politischen Klasse, zwischen dieser Klasse und anderen Funktionseliten und insbesondere wegen ihres kollusiven Zusammenwirkens mit einer winzigen global agierenden Kaste von Kapitaleignern und deren Handlangern. Instanzen, die miteinander konkurrieren und einander kontrollieren sollten, haben sich zu einer Machtstruktur verflochten. Durch diese kartellartige Verflechtung sind der politische Wettbewerb und demokratische Korrekturmechanismen ausgehebelt worden. (191)

Der Autor benennt die fundamentalen gesellschaftstheoretischen Unterschiede zwischen Linken und Rechten und muß konzedieren, daß deren Gegensatz philosophisch so tief wie eh und je ist, „politisch aber ist er irrelevant geworden, weil die linke und die rechte Opposition es mit einem Gegner zu tun hat, der nicht nur das bewahrenswerte Gewachsene zerstört, sondern auch jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft“. (67) Dem derzeit stattfindenden „Prozeß der globalen Liquidierung sozialer Strukturen“ – im dreifachen Sinn von Monetarisierung, Verflüssigung und Vernichtung – sei keine emanzipatorische Perspektive mehr abzugewinnen. „Er ist ein Kahlschlag, bei dem sicherheitshalber noch der Boden vergiftet wird, aus dem sonst womöglich etwas Neues wachsen könnte. (54) „Die beiden Fraktionen der Opposition sitzen im selben Boot, ob sie es nun wahrhaben wollen oder nicht.“ (67)


Spaltung!


Aber nicht nur die Linke ist in zwei Lager gespalten – die Rechte laut K.-H. ebenso. Das rechte Spektrum gliedere sich auf in „Mainstreamkonservative, oppositionelle Konservative, Rechtsliberale, Rechtslibertäre, Neurechte, Anhänger verschiedener Spielarten faschistischer Ideologie“ und andere (Seite 40). In der Gegenwart spielten diese Unterschiede kaum eine Rolle. Von praktischer Relevanz heute sei indes das Nebeneinander von einem „in religiösen und politischen Überzeugungen verwurzelten Konservatismus“ einerseits und „seinem opportunistischen und charakterlosen Scheinzwilling Mainstreamkonservatismus“ (99) andererseits. Letzterer sei das Spiegelbild der Mainstreamlinken, und in der AfD herrschten ähnliche Flügelkämpfe wie in der Linkspartei. Hier wie dort hat man ständig Anlaß, sich zu distanzieren, und Ausgründungen sind jederzeit möglich.

In der Gegenwart, in der es nur noch darum gehen kann, die herrschenden Eliten auszutauschen, sei nur der oppositionelle Konservatismus, in Sonderheit die „Neue Rechte“, der sich auch der Autor selbst zurechnet, auf der Höhe der Zeit. Denn wenn die Machenschaften des Kartells „diesen Austausch durch Blockade und Sabotage der verfassungsmäßigen Selbstkorrekturmechanismen des Staates – also durch einen kalten Staatsstreich – unmöglich machen, dann ist ‚oppositionell sein‘ gleichbedeutend mit ‚revolutionär sein‘“. (109) Und: „Will die Rechte weder den Irrweg gehen, an einem bürgerlichen Konservatismus festzuhalten, der durch die Entwicklung längst überholt ist, noch dem faschistischen Irrweg der Flucht nach vorn in eine totalitäre Diktatur folgen, so muß sie auf andere Weise ‚links‘ werden als der Faschismus: nämlich in dem Sinne, daß sie nicht den Utopismus, sondern die Herrschaftskritik der Linken in ihr Selbstverständnis integriert.“ (115)


Ganz geheuer ist dem Autor diese Volte selbst nicht, denn er betreibt immer wieder einen großen theoretischen Aufwand, um das schlechte konservative Gewissen zu entlasten, das Staatserhalt und -schutz zum Markenkern zählt, Eruptionen haßt und ungern an übermorgen zu denken sich gestattet. Die „konservativen Revolutionäre“ und die Attentäter vom 20. Juli 1944 standen vor einem ähnlichen Dilemma. Aber Pazifisten sind Konservative dennoch nicht. Und auch sie möchten Kriege nicht mit Nagelfeile und Zahnbürste führen.


Was für den Topos „Revolution“ gilt, gilt ebenso für den der „Systemopposition“ – beide sind nicht genuin konservativ zu deuten. Aber „weil und insofern die demokratischen Kanäle der Kritik und Opposition vom herrschenden Machtkartell zunehmend verstopft werden“ (143), befindet sich die Revolution nunmehr auf der Tagesordnung oppositioneller Konservativer. Denn in Aussicht steht in K.-H.s Augen „die Zerstörung der freiheitlichen, rechtsstaatlich und nationalstaatlich verfaßten Demokratie“ und der „verfassungsmäßigen Ordnung“ (193), „ein äußerst repressiver bis totalitärer Staat, der über einer rapide verarmenden und zerfallenden Gesellschaft thront, bis er selbst an dem von ihm angerichteten Chaos zugrunde geht, um durch alternative Strukturen abgelöst zu werden“ (150). Beispielsweise durch ein Weltregime oder durch Islamisten. Eine Querfront müßte demgegenüber die Erneuerung der Demokratie in einer dritten deutschen Republik anstreben. Der Autor sieht in einigen Punkten Übereinstimmungen zwischen linker und rechter Opposition als Voraussetzung für eine zumindest temporäre Zusammenarbeit. Linke und Rechte würden gerne in einem Land leben,


  • in dem politische Konflikte wieder mit Argumenten ausgetragen werden und dessen Staat kein Wahrheitsmonopol beansprucht

  • das sich nicht als Handlanger einer imperialistischen Großmacht mißbrauchen läßt und eine faire, konstruktive und friedliche Außenpolitik praktiziert

  • das deshalb zum Frieden in Europa beitragen kann, selbst friedensliebend und antimilitaristisch ist

  • in dem die Prinzipien des Rechtsstaates wieder gelten

  • das u.a. deshalb fähig ist, seine Probleme in Angriff zu nehmen und sich eine Zukunft aufzubauen (163)


Auf jeden Fall müsse dem Grundgesetz wieder Geltung verschafft werden, und das heißt: Anerkennung der vier ineinandergreifenden Konzepte Demokratie, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Nationalstaat. Einwanderung dürfe ein sozialverträgliches Maß nicht überschreiten. Dies sei der Minimalkonsens.


Vernunft!


Das alles klingt sympathisch und vernünftig. Leider spielt Vernunft bei Politikern keine größere Rolle mehr als in der Gesamtgesellschaft. Gesetzt den Fall, die AfD-Mitglieder würden sich im Sinne der Sache mehrheitlich auf ein temporäres Zusammengehen mit einer noch zu gründenden linksoppositionellen Partei einlassen – auch eine Wagenknecht-Linke kann nicht über ihren Schatten springen. Und dieser Schatten ist die 150-jährige Geschichte linker deutscher Parteien. Es lag marxistischen und kommunistischen und teilweise auch sozialdemokratischen Parteien nie am Herzen, allem voran ihr Vaterland zu retten. Tief in der linken DNA ist verankert, daß man für das Wohl der internationalen unterdrückten und ausgebeuteten Gesellschaftsschichten sein Herzblut gibt. Die bürgerliche Demokratie wird nur dann geschätzt, wenn sie einem selbst nützt. Feindbild Nr. 1 sind „die Rechten“.


Der Identitätskern heißt Antifaschismus. Selbst wenn der Kampf um eine kommunistische Gesellschaftsordnung nicht auf der Tagesordnung steht – die Dogmatik wird aufrecht erhalten, die Basisideologie ist vorhanden. Zur ihr gehören Elemente wie: der Rationalismus der Aufklärung, ein vulgarisierter Humanismus der Gleichheit und der Definition des Menschen als soziales Wesen, der daraus resultierende Glaube an grenzenlose Formbarkeit des Einzelnen, der Glaube an einen nicht aufzuhaltenden gesellschaftlichen Fortschritt, der Glaube, dessen Avantgarde, wenn nicht gar dessen Elite zu sein, der Glaube, im Besitz einer wissenschaftlichen Weltanschauung und der höchsten Moral zu sein.


Dieser Dogmatismus führte jüngst dazu, daß man die Masseneinwanderung aus südlichen armen Ländern ins ursprünglich für die deutsche Bevölkerung geknüpfte soziale Netz guthieß, selbst wenn man damit große Teile der eigenen Wählerschaft verlor. Und mag Sahra Wagenknecht auch gebildeter sein und hier und da differenziertere Ansichten vertreten – mit der intendierten neuen Parteigründung beabsichtigt sie nicht, querfrontfähiger zu werden als die Linkspartei. Ihr Ziel ist es, der AfD ihre „illegitime“ Wählerschaft abzujagen und eine zeitgemäße Linkspartei anzuführen, die die Protestwähler und Wutbürger integrieren kann und die das vorwiegend westdeutsche verknöcherte und inkompetente politische Establishment vor sich hertreibt.


Eine Querfront von unten wird ignoriert und kriminalisiert. Der einzige Weg zu einer einflußreichen Querfront würde über eine neue linke Partei führen. Darauf zu hoffen, scheint mir unbegründet zu sein.


Manfred Kleine-Hartlage: Querfront! Die letzte Chance der deutschen Demokratie. Verlag der 300. Berlin 2023. 224 Seiten, 12,90 €


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Über die Autorin: Beate Broßmann, 1961 in Leipzig geboren, erfolgreiches Philosophie-Studium, vor der „Wende“ in der DDR Engagement für demokratische Reformen, später Mitglied der oppositionellen Vereinigung „Demokratischer Aufbruch“.


Seit 2018 Autorin bei www.anbruch-magazin.de





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