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Beate Broßmann: PROSTITUTIONSZYKLUS. Fünf Anekdoten in Kleist'scher Manier (III)

G., eine junge Frau, die sich zur intellektuellen Elite ihres inzwischen verblichenen Landes rechnen durfte und die alle Voraussetzungen - Promotion und Ehrgeiz, Parteizugehörigkeit und körperliche Üppigkeit - dafür mitgebracht hatte, es innerhalb der herrschenden Verhältnisse weiblicher Emanzipation „zu etwas zu bringen“, unternahm kurz nach der deutschen Vereinigung einen energischen Schritt, um auf die Höhe der Erfordernisse der neuen Zeit zu gelangen, so wie sie diese verstand: Sie gab das bei einer renommierten Forschungseinrichtung beantragte und von dieser bereits genehmigte Habilitationsstipendium zurück, nachdem sie als Vertreterin bei einer der vielen, die pekuniäre Ahnungslosigkeit ihrer Landsleute ausnutzenden Finanzberatungsfirmen zu arbeiten begonnen und sich vom hiesigen Filialleiter zielgerichtet ein Kind anfertigen lassen hatte, woraufhin sie von diesem prompt geehelicht worden war.


Der Überrumpelte nämlich stammte aus Bayern, wo Ehe, Familie und Treue bekanntlich noch etwas bedeuten. Ob ebenfalls moralische Gründe dem Umstand Pate standen, dass er zur Praktizierung des vorehelichen Geschlechtsverkehrs keinerlei deutsches Frauenfleisch benutzt, sondern seinen Urlaub Jahr für Jahr in Thailand verbracht hatte, war nicht in Erfahrung zu bringen. Nachdem von G.s Freunden und ehemaligen Kollegen in den wenigen zustande kommenden Gesprächen mit dem Finanzspezialisten bemerkt worden war, dass dieser offenbar nur über eine minimale Ausstattung an Allgemeinbildung verfügte und über seine Fachliteratur zu Fragen der Geldvermehrung hinaus noch kein Buch von innen gesehen hatte, stellten sie G. die naheliegende Frage, warum diese sich gerade einen solchen intellektuellen Tiefflieger zum zweiten Ehemann erkoren habe, da sie doch sonst so viel Wert auf gehaltvolle Gespräche lege. Von geistigen Höhenflügen bei asketischer Lebensweise habe sie genug, lautete G.s ebenso verblüffende wie trotzige Antwort, sie wolle sich endlich etwas kaufen.






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Über die Autorin:


Beate Broßmann, 1961 in Leipzig geboren, erfolgreiches Philosophie-Studium, vor der „Wende“ in der DDR Engagement für demokratische Reformen, später Mitglied der oppositionellen Vereinigung „Demokratischer Aufbruch“.


Seit 2018 Autorin bei www.anbruch-magazin.de.








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