F., eine nicht mehr ganz junge Frau, die sich schon zu Zeiten, da es zumindest in den gesellschaftlichen Schichten oberhalb derjenigen, die nach dem verlorenen Krieg im östlichen Landesteil formal die Macht übertragen bekommen hatten, zum guten Ton gehörte, einer Frau nicht alle Aufgaben der Haushaltsführung und Kindererziehung allein aufzubürden, mit dem Gefühl durchs Leben schlug, von Männern immer nur ausgenutzt zu werden und bei der Befriedigung eigener Bedürfnisse zu kurz zu kommen, gründete im Jahre 199... ein eigenes kleines Unternehmen.
Im Unterschied zu vielen ihrer Landsleute, die zu dieser Zeit aus der Not der Arbeitslosigkeit die Tugend der Selbständigkeit machten, stand F. in einem nicht akut gefährdeten Arbeitsverhältnis und bezog von ihrem geschiedenen und sehr gut verdienenden Ehemann Unterhaltszahlungen in überdurchschnittlicher Höhe. Ihre Firmengründung verfolgte demnach nicht das Ziel der Existenzsicherung, sondern das des Profitierens von kurzfristigen Gewinnen in einer Goldgräberzeit oder -branche. Letztere meinte sie im gerade im Entstehen begriffenen Telefonservice erblicken zu können, insonderheit in der telefonischen Partnervermittlung. In ihrer Freizeit richtete sie notdürftig ein Büro mit gebrauchten Möbeln ein, mietete eine Telefonanlage und stellte die für erforderlich gehaltene Anzahl Arbeitskräfte ein, indem sie sich vom Arbeitsamt weibliche Langzeitarbeitslose vermitteln ließ, was den Vorteil barg, dass ein Teil des Gehaltes der Dienenden vom Staat gezahlt wurde.
Nach einiger Zeit wurde F. von einer Freundin gefragt, wie denn „der Laden so laufe“. Sie könne sich gar nicht vorstellen, dass so viele Menschen ihren Lebenspartner per Telefon suchten, so dass sich eine Vermittlungsagentur finanziell auch lohnen würde. F. gab zu, dass es sich bei der Mehrzahl der Kunden um Männer handelte, die davon überzeugt waren, bei ihr die Dienste eines euphemistisch getarnten Sexunternehmens in Anspruch nehmen zu können. Ob die angestellten Telefonistinnen den Irrtum denn in solchen Fällen sofort aufklären würden, fragte besagte Freundin weiter. Dann könne sie die Firma gleich schließen, antwortete F. sarkastisch. Jede Minute Gespräch bringe einige Mark Gewinn. Also habe sie die Mädchen dazu angehalten, so lange wie möglich mit jedem einzelnen Kunden zu plaudern, bevor sie ihn daran erinnerten, mit wem er es eigentlich zu tun hatte.
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Über die Autorin: Beate Broßmann, 1961 in Leipzig geboren, erfolgreiches Philosophie-Studium, vor der „Wende“ in der DDR Engagement für demokratische Reformen, später Mitglied der oppositionellen Vereinigung „Demokratischer Aufbruch“.
Seit 2018 Autorin bei www.anbruch-magazin.de.