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Beate Broßmann: POLITIK VON RECHTS. EIN MANIFEST VON MAXIMILIAN KRAH



Die wenigsten AfD-Wähler lesen Bücher und Programme. Von Parteien erwarten sie, daß sie nicht nur reden, sondern „was tun“. In der heutigen Lage sollen sie „was tun“ zur Erhaltung der deutschen Nation und Wirtschaft, gegen Bevormundung des Volkes, für Medien-, Gesinnungs- und Redefreiheit. Diese Inhalte bekommen sie derzeit nur von der AfD angeboten. Je umfangreicher die Beschneidungen der bürgerlichen Freiheiten ausfällt, desto zahlreicher und entschlossener wählen die Bürger diese Partei.


Deren Mann der Stunde, Maximilian Krah, Europaabgeordneter der AfD, hat jetzt für alle, die es genau wissen wollen, die Prinzipien einer neurechten Politik in einem Buch dargelegt und begründet. Das ist verdienstvoll und hilfreich und in seiner sachlichen Diktion angenehm zu lesen. Inwieweit die Überzeugungen des Autors mit denen seiner Parteigenossen übereinstimmen, ob sie also repräsentativ für diese Partei sind, ist noch nicht abzusehen. Es sind auch weiterhin weltanschauliche Kämpfe zwischen verschiedenen Parteiflügeln zu erwarten.


Gegen Denkschablonen


Im ersten Kapitel versucht Krah, sich und seine Ansichten im konservativen Meinungsspektrum zu verorten. Vom Autor Manfred Kleine-Hartlage kennen wir ja bereits die vielfältigsten Varianten konservativen Denkens (s. Rezension vom 29. August). Auch Krah ist kein Freund der Mainstreamkonservativen, die seines Erachtens nicht über die Denkschablonen des Kalten Krieges hinausgekommen sind. Sie setzten immer noch auf „bürgerliche“ Verbündete in Kapital und Industrie gegen die „Kulturmarxisten“ und hätten keine Sensoren für das gegenwärtige „Zusammengehen des globalen Besitzbürgertums mit dem westlichen, postmodernen Linksliberalismus“ (26).


Auch der Liberalkonservative ist Krahs Auffassung zufolge auf dem Holzweg: Er teilt den absoluten Freiheitsbegriff der Linksliberalen: alle Hindernisse auf dem Weg zur freien Entscheidung des Individuums sollen beseitigt werden, und das sind alle Formen von Zugehörigkeit und Gebundenheit: Glaube, Natur, Tradition, Herkunft, Heimat, Gruppen- und Generationszugehörigkeit, Familie, Biologie. Freiheit sei zu Haltlosigkeit herabgesunken. Gesellschaftspolitisch drücke sich das Libertäre aus in Geringschätzung des Staates und im Vorrang alles Privaten vor dem Staatlichen. Privatisierung von allem und jedem sei dessen Ideal.


Anhand dieser Abgrenzung kann man auf Krahs eigene Überzeugungen schließen. Kernpunkt ist die Verwurzelung des einzelnen in Tradition und Natur, also in Zeit und Raum. Er verteidigt die Existenz von Herrschaft, Macht und Ordnung und ist bekennender Etatist. Aus dieser weltanschaulichen Sicht ergibt sich alles Weitere. Krah gehört mithin zum werte- und nationalkonservativen Spektrum der Partei. Zu seinem Konservatismus zählt zwingend eine Form von Religiosität. Daß weder die Rechte noch die deutsche Bevölkerung als Ganze spirituell oder transzendental verankert ist, bedauert er sehr. Es besorgt ihn regelrecht. Eine Rückkehr zum Christentum allerdings hält er für unwahrscheinlich: Dieses befinde sich in einem derart desolaten Zustand, daß es als Partner ausscheide. „Die großen Kirchen, in Deutschland die katholische und die evangelische, sind mit theologisch-philosophischen Maßstäben nicht mehr zu beschreiben, es handelt sich um staatlich finanzierte Vorfeldorganisationen des linksliberalen Mainstreams.“ (28) Eine Alternative sieht er derzeit nicht.


Im Folgenden dekliniert er seine konservativen Prinzipien an den großen gesellschaftlichen Feldern, die da sind: Staat, Weltordnung, Wirtschaft, Zukunft, Politik, durch. Diese Auffassungen zu referieren, ist hier nicht der Platz. Ich beschränke mich auf einige Punkte, die ich für auffallend und/oder problematisch halte. Man möge das Buch selbst lesen – es lohnt sich!


Für Narrative


Ganz grundsätzlich, aber folgenreich ist die Erkenntnistheorie. Rechte begehen hier meines Erachtens den Fehler, an einer Wahrheit festzuhalten, die sie allein gefunden hätten. Darin treffen sie sich mit der Linken. Bereits bei Kleine-Hartlage stoßen wir auf eine Behauptung, die stark in Richtung „Priesterbetrug“ geht: Ein vulgärer bzw. voluntaristischer Konstruktivismus führe dazu, daß Wahrheit aus deren Weltbild „herausdefiniert“ worden sei. „Wenn alle Begriffe Konstrukte und damit Illusionen sind, dann ist die Wahrheit etwas, was (sic!) man sich ausdenken kann.“ (Kleine-Hartlage, S. 69) Statt dessen komme es darauf an, eine „angemessene Realitätswahrnehmung“ an den Tag zu legen, und diese speise sich aus dem, was man „mit eigenen Augen sieht und mit eigenen Ohren hört“ (ebenda). Der zentrale Begriff Krahs dagegen ist die „Realität“. Er setzt sie in Opposition zu „Narrativen“. Professionelle Arbeit heiße, „die postmoderne Falle zu vermeiden, wonach es in der Politik nicht um die Realität, sondern um Narrative, also Erzählungen, geht und Politik dementsprechend eher Kommunikation denn Kampf ist.“ (Krah, S. 218) Die Rechte will Wirklichkeit bestmöglich kommunizieren, anstatt sich „eigene Geschichten auszudenken“. (S. 219)


Diese Sichtweise ist naiv oder bestenfalls ein Mißverständnis. Zum einen hat der Konstruktionscharakter von Interpretationen nichts mit Illusionen zu tun. Und die Linken denken sich weder Wahrheiten, noch Geschichten aus. Spätestens seit Kant kann man wissen, daß das, was man „sieht“ und „hört“, die erste Stufe der Erkenntnis ist, nämlich die der Wahrnehmung. Interpretation und – im besten Falle für den einzelnen – „Erkenntnisse“ kommen erst durch die Bearbeitung der gewonnenen „Daten“ im Gehirn zustande. Ein persönliches Prisma bricht das Wahrgenommene, und im Ergebnis hält das Erkenntnissubjekt bestimmte Interpretationen für wahr, die es in Narrative verwandelt. Dieser Prozeß ist nicht zu hintergehen. Rechten und Linke leiden gleichermaßen an der Hybris der Selbstgerechtigkeit, die sich einstellt, wenn man sich als einzelner oder als Gruppe für den Inhaber einer Wahrheit hält. Nicht anders funktionieren Religionen und Weltanschauungen von Sekten. Die Bibel ist genauso ein Großnarrativ wie das marxistische Geschichts- und Menschenbild. Narrative sind wirksam oder unwirksam, sie sind weder wahr noch falsch.


Kampf um Kommunikation


Für Rechte, die den lieben Gott an ihrer Seite wähnen, ist das schwer zu akzeptieren. Linke Begriffe wie „Arbeiterklasse“, „Weltrevolution“ und „Kommunismus“ trugen ebenfalls religiöse Züge. Aber sich selbst zu relativieren bedeutet ja nicht, daß man für nichts mehr kämpfen oder eintreten könnte und sollte. Pluralismus und Demokratie haben einst die Konsequenz aus der Natur des menschlichen Erkenntnisprozesses gezogen: Keine Partei besitzt die Wahrheit. Jede vertritt Interessen bestimmter Menschengruppen, hat also einen Standpunkt in der Welt oder in dem Land, der allein durch diese Stellvertretung bereits seine Berechtigung hat. Im Parlament werden diese Standpunkte vorgetragen und befinden sich im Konkurrenzstreit. Und ja: der zu wünschende Umgang von Politikern miteinander ist die Kommunikation. Wem es lediglich ums Kämpfen geht, der ist in der Fremdenlegion besser aufgehoben.


Idealtypisch gehen die Parteien zum Zweck der politischen Entscheidungsfindung Kompromisse ein, mit denen alle, die vom Gegenstand betroffen sind, leben können. Politische Akteure in Demokratien arbeiten mit den Mitteln des Aushandelns. Politiker sollten Künstler des Möglichen sein. Nur in Diktaturen sind Andersdenkende Feinde, die es zu vernichten gilt. Wer sich im Besitz einer Wahrheit wähnt, ergreift im Siegesfall meist totalitäre Mittel. Vor der Epoche der Demokratien waren es Autoritäten aus Religion und Aristokratie, die als Wahrheitsinstanzen fungierten. Mit dem Ende des demokratischen Denkens und dem Schleifen ihrer Institutionen in den westlichen Gesellschaften scheinen diese zurückzufallen in eine neue Art des Totalitarismus, in dem Politiker wieder einmal für eine „Wahrheit“ und das scheinbare Wohlmeinen ihrer politischen Gruppe stehen.


Auch wenn man nicht der Ansicht ist, daß die Geschichte der Menschheit eine permanente Entwicklung zum Höheren ist, muß man meines Erachtens konzedieren, daß die pluralistisch-demokratische Regierungsform eine unglaublich hohe Form der zivilisatorischen Entwicklung in den westlichen Ländern war. Auch wenn sie nicht zu sozialer Gerechtigkeit führte, erreichte das bürgerliche Zeitalter mit ihr einen Gipfelpunkt. Erst jetzt wird deutlich, daß es eine Regierungsform prosperierender Gesellschaften war: eine Schönwetterdemokratie.


Das Wahre muss!


Kaum kriselt es in verschiedenen Bereichen, degeneriert sie, und ihre Sachwalter kehren zu allzu vertrauten Formen des Regierens zurück, werden diktatorisch, rechthaberisch und ihrem Volk gegenüber erzieherisch. Sie zensieren, unterdrücken, kriminalisieren oppositionelles Denken. Nur ein relativ kleiner Prozentsatz der Bevölkerung nimmt daran Anstoß, protestiert und verteidigt die Demokratie. Von vielen wurde sie sowieso nie geliebt: der Natur des Menschen entspricht es nicht, verschiedene Standpunkte als berechtigt zu akzeptieren. Einer muß der richtige, der wahre sein. Sie wollen das ewige Hin und Her der verschiedenen Positionen, das sie für ein sinnloses, zeitverschwendendes Palaver halten, nicht haben. Sie wollen die schnellen Entscheidungen eines vernünftigen, moralisch integren starken Mannes an der Spitze des Staates. Sie wollen juristische Gesetze, die auf einen Bierdeckel passen. Komplexes überfordert sie – sie fordern Schlichtheit.

Darin kommt auch eine berechtigte Kritik am wuchernden bürokratischen deutschen Verordnungsstaat, an der Verselbstständigung einer privilegierten Beamten- und Funktionärsschicht zum Ausdruck, der das Hemd näher ist als der Rock. Ein unterkomplexes, den liberalistischen gordischen Knoten zerschlagendes (neu-)rechtes Denken kommt diesen ihren Bedürfnissen entgegen. Wenn Liberalität verkommt zu Beliebig- und Sittenlosigkeit, wenn Kriminalität immer weniger geahndet werden kann und das Machtmonopol des Staates sich statt dessen gegen Menschen richtet, die andere politische Auffassungen vertreten als die Regierung, dann wird ein Ordnungsstaat gebraucht. Wenn der Liberalismus, einer Autoimmunerkrankung ähnelnd, seinen eigenen Träger auffrißt, dann ist Widerstand Pflicht.


Aber Maximilian Krah knüpft in seiner Begründung des rechten Opponierens an die deutsche „Tradition“ der mangelnden Ambiguitätstoleranz an: Es ist alles ganz einfach und klar, geht man zurück auf Start und ersetzt das Labyrinth durch zwei sich kreuzende Hauptstraßen. Komplexitätsreduzierung mit der Axt. In politischen Vokabeln äußert sich ein solcher Purismus wie folgt: „Rechte Politik will zurück zu einem Staat, der auf kollektiv geteilten Vorstellungen, über das was billig und recht ist, aufbaut…“ (S.87). „Es geht um eine organische [an anderer Stelle: natürliche, B.B] Ordnung auf Basis dessen, was sich aus Natur, Tradition und Kultur ergibt…“. „Rechte Politik setzt dem [rechtlichen Verfahren, B.B] Maßstäbe des Wahren und Gerechten entgegen.“ (S. 88f)

Und wenn man dann noch von einer „Avantgarde“ liest, der es bedarf, um in Anspruch und Ästhetik zu zeigen, daß „ein sauberes Leben möglich und erstrebenswert ist“, das „[k]inderreiche, gesunde Familien in einer intakten Natur“ und in der „Schicksalsgemeinschaft“ (S. 54) Volk führen sollen, scheinen am Horizont das Mutterverdienstkreuz und die Begriffe „Volksgemeinschaft“ und „Lebensborn“ auf. Denn Abtreibung ist „natürlich“ in den Augen der Neurechten nicht akzeptabel. (S. 38) Das globale Problem der Überbevölkerung wird von Krah geleugnet und als bösartige Erfindung der Linksliberalen betrachtet. (S. 71) (Wenn es das nur wäre: die Linke bestreitet unter anderem ideologischen Vorzeichen die Überbevölkerung ebenso.) Deutsche Frauen sollten in ihren Ehebetten den Kampf gegen den steigenden Anteil Kulturfremder an der deutschen Bevölkerung führen. Insonderheit sollte die Geburtenrate Höherqualifizierter gesteigert werden. (S. 176)


Wie hältst du es mit dem Rechtsstaat?


Aber will man Abtreibung verbieten, läuft man Gefahr, daß viele Ostdeutsche ins Grübeln darüber kommen, ob sie mit einer Wahl der AfD nicht riskieren, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Der Topos „Abtreibung“ trägt hier das Potential in sich, zu einer Wasserscheide zu werden, zum pars pro toto. Eine neue, zeitgemäße linke Partei hielte solch eine Zumutung nicht bereit und könnte von der Politikverdrossenheit der Protestwähler profitieren. Als verwurzelter Ostdeutscher wird Krah das wissen. Sich trotzdem zu seiner Haltung in dieser Frage freimütig zu bekennen, ehrt ihn. Aber der Schaden hält sich, sollte der erste Satz dieser Rezension gelten, sicherlich in Grenzen.


„Recht und billig“, „wahr und gerecht“: Natürlich ist eine simplifizierende Darstellung von Auffassungen bei der literarischen Gattung „Manifest“ kaum zu vermeiden – die Wortwahl hingegen schon. Wer diese Begriffe benutzt, lehnt den Rechtsstaat ab, der seine Entwicklung ja gerade der Einsicht verdankt, daß ein Begriff wie „Wahrheit“ nicht objektiv zu konkretisieren ist, was andernfalls unweigerlich zur Willkür führt. „Jede Behauptung einer Wahrheit, die das Individuum übersteigt, führt notwendigerweise zum Konflikt mit dem Geltungsanspruch des liberalen Mechanismus.“ (S. 86) formuliert Krah. So ist es, und wie hier bereits ausgeführt wurde, gibt es auch jede Menge Gründe, den Liberalismus zu kritisieren und insonderheit mit den Absurditäten seiner selbstläufig-exzessiven Umsetzung ins Gericht zu gehen – historisch aber war er ein politischer Fortschritt, die Reaktion auf eine sich ausdifferenzierende Massengesellschaft. In den „rechten Binnendiskurse[n]“ (S. 96) scheiden sich liberal-konservativer und national-konservativer Flügel u.a. entlang ihres Verhältnisses zur Institution „Rechtsstaat“.


Und auch auf den „Feind“-Begriff will Krah nicht verzichten. Wer den Feind nicht erkennen und als solchen definieren könne oder wolle, der sei politikunfähig und könne kein Rechter sein. (S. 204f) Feindbestimmung, ja sogar die „manichäische Freund-Feind-Scheidung“ (ebenda) sei der Kernbereich der Politik, behauptet er mit Carl Schmitt. Bis 1990 habe sich der Feind qua Definition im Osten befunden. Heute nähmen die linksliberalen Politiker bzw. Politikverweigerer, die nicht willens sind, Existenzsicherung zu betreiben, seine Stelle ein.


Manichäisch: Freund-Feind, Gut-Böse, Links-Rechts, Positiv-Negativ, Schwarz-Weiß – so denken sie, die großen Vereinfacher in Geschichte und Gegenwart. Ein manichäisches Weltbild stand Zbigniew Brzezińskis Buch „Die einzige Weltmacht“ von 1997 Pate. Manichäisch denken die amerikanischen Politiker, die die USA seit langem als Weltpolizisten sehen und immer wieder Interessenkonflikte mit anderen Ländern eskalieren lassen – bis hin zu heißen Kriegen auf deren Territorien. Diese Eskalierung erleben wir gerade bezüglich des sich aktuell zur Weltmacht entwickelnden China. Und keiner scheint der „globalen Supermacht“ Einhalt gebieten zu können oder zu wollen.


In ihrer Kritik der unsäglichen, existenzgefährdenden Politik der Linksliberalen an der Macht können viele liberale und linke Oppositionelle den Neurechten folgen. Wie eine wünschenswerte gesellschaftliche Alternative aussehen könnte – darüber wird zur Zeit auf allen Seiten nachgedacht und gestritten. Es ist zu hoffen, daß unter den Teilnehmern der großen Diskussion diejenigen überwiegen, die Grautöne, Ambivalenzen, Pluralität und Übergänge denken und aushalten können.


Maximilian Krah: Politik von rechts. Ein Manifest. Verlag Antaios: Steigra 2023, 20 Euro


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Über die Autorin: Beate Broßmann, 1961 in Leipzig geboren, erfolgreiches Philosophie-Studium, vor der „Wende“ in der DDR Engagement für demokratische Reformen, später Mitglied der oppositionellen Vereinigung „Demokratischer Aufbruch“.


Seit 2018 Autorin bei www.anbruch-magazin.de





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