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Beate Broßmann: GUERILLA – EIN ROMAN VON LAURENT OBERTONE

Dieser Roman ist hart und im Detail schwer erträglich. Uns auf Friedlichkeit Abgerichteten erscheint er übertrieben in der Gewaltdarstellung und Antizipation dessen, was auf die Bevölkerungen des Abendlandes zukommen könnte, wenn die politische Klasse weiterhin ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Völkern nicht nachkommt und nicht durch vernünftige Volksvertreter ersetzt wird. Aber wir sollten diese Schule des Schreckens durchlaufen, um uns psychisch auf das Schlimmste vorbereiten, um nicht, wie einige der Protagonisten des Buches, vor Überraschung und Entsetzen starr und ohnmächtig zu sein, wenn infolge gesellschaftlicher und technischer Kausalketten, die nicht unserem Einfluß unterliegen, Chaos und Gewalt ausbrechen.





Die neue Qualität des Niedergangs Frankreichs wird im Roman „Guerilla“ in Gang gesetzt durch einen tief frustrierten Pariser Polizisten, der nach einem Hilferuf aus dem Vorort La Courneuve mit zwei Kollegen ein Hochhaus betritt und von sechs „Caids“ (muslimische Gangster, politisch korrekt als „Reisende“ bezeichnet) unfreundlich empfangen wird. Der auf Kommunikation setzende Brigadier wird von einem der Jungmänner angegriffen und, auf dem Boden liegend, getreten. Auch den Polizeihund machen die Angreifer unschädlich. Der älteste der Polizisten verliert die Kontrolle. Das Tier in ihm erwacht, und er schießt der Reihe nach auf alle sechs Delinquenten. Ein toter Polizist und mehrere getötete Banlieusards sind das Ergebnis.


Ein unheilvoller Zorn ballte sich zusammen. In einem Gemisch aus Empörung, Schamanismus, Vorderem Orient und Weltuntergangsstimmung beschwor man Allah, die Marabous und die Dschinns. Man schrie nach Rache. Draußen im Tageslicht stürzten sie sich erbittert auf die Leiche des Polizisten.

Nun breitet der Autor, einem Fächer gleich, die Personage aus, die zu einem Kronzeugen der sich innerhalb von drei Tagen abspielenden Orgie der Entzivilisierung wird: Einzelkämpfer des Überlebens wie ein Oberst a.D., eine Sturzgebärende oder ein Steuerberater, psychisch Gestörte, die auf eigene Rechnung ihren Privatkrieg gegen die Welt führen. Politische und kulturelle Gruppen wie Antifas, Linksextreme und fanatische grüne Tierschützer, Dschihadisten und Salafisten, die die Gunst der Stunde nutzen, um sich entgegen sonst geltender Regeln des gesellschaftlichen Umgangs so zu verhalten, wie sie es sich schon lange wünschten: authentisch-aggressiv, brandschatzend und mordend. Es kommt so lange zu unerwarteten kurzfristigen Allianzen, bis jeder des anderen Wolf ist. Cyberterrorismus beendet die mediale Kommunikation und Information, führt zu Blackout und Lebensmittelknappheit und ruft Panik und Plünderungen hervor. Vor uns entrollt sich das gesamte Panorama einer Großstadtdynamik der Gesetzlosigkeit und des Chaos, die sich landesweit ausbreitet und die wir aus Katastrophenfilmen und anderen Dystopien bereits kennen. Warum sollte man sich der Lektüre dieses Buches dennoch nicht verweigern?


Weil Obertone etwas tut, das andere Schriftsteller (und Regisseure) nicht tun: Er leitet das Katastrophenszenario ab aus unserer unmittelbaren, aktuellen geistigen Situation, der großflächigen Wirklichkeitsverweigerung, der kognitiven Dysbalance, die ihre eigene Logik und Kausalität entfaltet: Gehirnwäsche als vervielfachte, endlos kopierte manipulative Einhämmerung von Blauäugigkeit – gemäß dem Prinzip des „Nudgings“ oder der PsyOps – durch „wording“, „framing“ und Lügen, d.h. generell dreisten Mißbrauch der Definitionsmacht. Obertone stellt die Erscheinungsweisen der erlernten Hilflosigkeit und Naivität dar und zeigt ihre Konsequenzen auf: beharrlich, unerbittlich und schmerzhaft. Wir lernen: Den Franzosen ergeht es offenbar auch nicht besser als den Deutschen. Auch sie werden mit Euphemismen und ideologisch-fehlorientierenden Begriffsfindungen moralisch erpreßt. Das Konzept des „Optimalen Zusammenlebens“ könnte sowohl von Orwell, als auch von deutschen Grün-Linken stammen. Und die „Anti-Haß-Gesetze“ haben wir schon. Der Autor läßt in einem französischen Dorf Deutsche eine Pro-Asyl- Demonstration organisieren. „Kein Mensch ist illegal“ skandieren junge Punks und ältere Damen – „deutsche Frauen, die mit der ganzen Welt litten“. Dorfbewohner kommentieren: Das muß ihnen erst einmal jemand nachmachen: den nahtlosen Übergang von „Sieg Heil!“ zu „Refugees Welcome“. Und bereits 2016 kam Overtone auf die Idee, an die Jugendlichen der Vororte massenhaft Tablets zu verteilen, um den Frieden zu erkaufen. Ein Netflix-Abo ist allerdings preiswerter.


Der Präsident wird in La Courneuve bei seinem Entschuldigungsauftritt ermordet. Er hatte die (angebliche) Einladung von Jugendlichen des Viertels angenommen. Sie seien die dynamische Kraft in den multikulturellen Vierteln. Mit ihnen wolle er in aller Öffentlichkeit den Dialog führen. Er hatte keine Vorstellung von der Gefährlichkeit eines solchen Auftrittes. Seine Sicherheitsmänner schon – aber deren Warnungen schlug er in den Wind. „Der soziale Mensch ist jenes Wesen, das am allerwenigsten ahnt, wenn Gefahr im Anzug ist“, kommentiert der Autor. „Ich habe nicht gedacht, daß dies geschehen könnte. Ein wirtschaftlicher Niedergang, vielleicht, eine langsame Regression, ja. Aber ein solcher Zusammenbruch, nein, gibt selbst der Offizier a.D. zu.


In den Gated Communities der Cote d’Azur werden Hinrichtungen veranstaltet. Journalisten sprechen von „psychisch Gestörten“, später von „Handlungen Verzweifelter“. „Man meldet uns eben einige sexuelle Übergriffe, verkündigt die Sprecherin, so als spräche sie über atmosphärische Turbulenzen. Ja, das ist doch die übliche Masche, fiel ihr ein Kollege beschwichtigend ins Wort. Man pickt sich zwei, drei Einzelfälle heraus, man bauscht sie auf und stellt alle Reisenden unter Generalverdacht, stigmatisiert sie, und die Rassisten triumphieren. Im Polizeifunk stehen die Kodices U238 und U235 für „bereicherte“ und „wesentlich bereicherte Wohngebiete“. Die Medien berichten von einer „Flut extrem abfälliger Kommentare über Reisende…, die allesamt unter das Gesetz der Unantastbarkeit des Optimalen Zusammenlebens fallen und,…, mit einer Geldstrafe von 75000 Euro, drei Jahren Gefängnis, einem politischen Deeskalisierungspraktikum und der Veröffentlichung der vollständigen persönlichen Taten an der Mauer der Schande geahndet werden können.


Der junge Olivier, Angestellter mit linker Gesinnung, trifft auf eine Demonstration, die mit Sprüchen wie „Wir sind alle ermordete Reisende“ die „faschistische Polizei“ anklagt. Vier Vermummte umstellen ihn. „Die Bestien hatten die Angst ihrer Beute gerochen. Sie hatten seinen Opferblick gesehen, bemerkt, wie er am liebsten im Asphalt versunken wäre. Er hatte ihnen pathetisch zugelächelt…Er war gelähmt. Nicht wegen ihnen. Sondern seinetwegen. Durch das, was er seine Kultur, seine Erziehung, seine Zivilisiertheit nannte, und was diese Barbaren als seine Schwäche verhöhnten. Seit seiner Geburt hatte man seine Ängste in Gefügigkeit umgebogen.“ Ein Angreifer gibt ihm „den absurden Befehl ‚Beweg dich nicht!‘ Und noch absurder: Der Angegriffene gehorchte…Der rechte Haken zerschmetterte ihm den Kiefer. Der Tritt in den Plexus ließ ihn zusammenklappen…Sein Instinkt bot alle Kraft auf, ihn aus der tödlichen Starre jahrzehntelanger narkotisierender Erziehung zu reißen.“ Sein Fluchtversuch mißlingt. „Er sah einen Mann, mit gleichgültigem Ausdruck, der Anlauf nahm, um ihn mit beiden Füßen auf den Kopf zu springen.“ „Wann sind wir zu Schafen geworden?“, läßt der Autor den Sterbenden fragen.


Und dann der – einzige – Gegenpol in folgender Konstellation: Eine militante scheinlinke Bande, „Zombies der sozialen Gerechtigkeit“, erpreßt mittels einer Kontrollsperre Wegzoll. Wer keinen Pro-LGBT-Aufkleber oder Vergleichbares an seinem Auto angebracht hat, muß zahlen. Ein russischer LKW-Fahrer denkt nicht daran. Der Koloss mit der Statur eines Kugelstoßers und rasiertem slawischen Schädel baut sich vor den Hänflingen auf. „You remove it.“ Ein Zombi wagt es, sich ihm entgegenzustellen. Darauf der Russe: „Ihr wollt spielen.“ Die Bandenmitglieder machen sich gegenseitig Mut und rufen „Alerta, alerta, Antifascista! Der Fernfahrer steigt in seinen LKW, doch die Jugendlichen freuen sich zu früh: „Der Riese stieg herab. Die Stahlstange in der Hand. Er entblößte seine gewaltigen Unterarme und ging langsamen Schritts auf die Gruppe zu. Dieser Mann, der aus der Kälte gekommen war, wurde offensichtlich von einem anderen Gesetz beherrscht. Er war die Verkörperung der wortlosen Gewalt. Er war ein Alpha-Tier, eine Art Berserker, verrückt genug, um in seiner rohen Bestialität der Masse entgegenzutreten, um auf einen Feind einzuschlagen, der von seiner eigenen Überzahl berauscht war. Wenn sie einen Gegner gesucht hatten, da war er. Ja, wenn sie überhaupt einen Gegner hatten, so war er es. Kaum hob sich das Montiereisen in die Luft, als ein Bläßling, so ein saftloser Pimpf, sich einschaltete und seinen Leuten zurief: ‚Keine Gewalt! Laßt uns nicht in diese Falle gehen!‘“


Ein russischer Barbar wie er im Buche steht als letzter Retter der Zivilisation? Vermutlich das kleinere Übel.


Was ist es, das viele Menschen des Westens (vielleicht sogar die Mehrheit) dazu bringt, immer wieder die argloseste, die naivste Deutung des gemeingefährlichen Verhaltens bestimmter Einwanderergruppen und Politiker vorzunehmen, den eigenen Sinnen und ihrem Verstand nicht zu trauen? Diesen komplexen Bewußtseinsaktivitäten auf den Grund zu gehen, ist unerläßlich, will man kompetent gegensteuern.


In einer Beziehung liegt hier kein Neuland vor: In der DDR waren Politiker und Journalisten ebenfalls Gläubige oder zumindest Opportunisten. Kein dissidenter Bürger hätte es sich einfallen lassen, mit denen, den Machthabern, tiefgründige politisch-ideologische Diskussionen zu führen. (Insofern waren die „sozialistischen“ Bevölkerungen auch bereits in zwei Lager und mehrere kulturelle Sphären gespalten. Homogene Gesellschaften hat es seit Beginn der Zivilisation nie gegeben). Man hatte die Westmedien, und wer diese aus eigener Entscheidung nicht rezipierte, war nicht satisfaktionsfähig. Auch heute hat jeder die Möglichkeit, sich auf neuen Medien zusätzlich zu informieren. Denen, die dies nicht tun, mangelt es tatsächlich an Kenntnissen und Zusammenhängen. Auch sie sind nicht satisfaktionsfähig und Diskussionen mit ihnen sinnlos. Auch sie verweigern die Annahme von fehlenden Puzzlesteinen. Sie folgen willig den Narrativen der Massenmedien und Politiker und fühlen sich, fragt man sie, adäquat und ausreichend informiert. Wie kann das sein? Aus den gleichen Gründen, aus denen die Parteisoldaten vor der „Wende“ Gläubige waren? Mundus vult decipi?


Eine Lehre aus den beiden letzten deutschen Regimewechseln im 20. Jahrhundert lautet: Nicht nur die prinzipienlosen Opportunisten, auch die Gläubigen und Naiven sind diejenigen, denen der Übergang in ein anderes Gesellschafts- und Denksystem am leichtesten fällt, obwohl man annehmen würde, daß sie aus allen Wolken fallen und gravierende Orientierungsprobleme haben müßten. Diejenigen, die heute gutwillig und moralisch hochwertig in Regierungsdemonstrationen gegen die rechte Gefahr für unsere vorbildliche Demokratie mitlaufen (gern auch als Reaktion auf ein Messermassaker), werden die Vorzüge einer anderen politischen Konstellation sehr schnell „begreifen“ und so tun, als hätten sie es schon immer gewußt. Sie legen einfach den Schalter um, als wechselten sie die Haarfarbe. Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. Vielleicht ist es zutunlicher, sich zu seinen Lebzeiten um nichts anderes als um seine kleine Privatwelt zu kümmern und das Große Ganze als unbedeutendes Hintergrundrauschen zu empfinden resp. zu ignorieren. Biographische Brüche sind dann zwar auch nicht völlig zu vermeiden, aber der Pragmatismus des Spießers sorgt vermutlich für ein höheres Maß an Kontinuität und Kontrollfähigkeit. Aber wir, die wir hier und auf anderen freien Medien schreiben und lesen, sind animali politici und können uns immerhin an solch klugen Worten wie die unseres Mitstreiters Milosz Matuschek stärken:


Die kritischen Geister haben… einen Vorsprung in der nächsten Krise vor allen anderen, die noch im Dunkel ihrer Illusionswelt tappen. Wer bereit ist, mit vielem zu rechnen, auch dem Unwahrscheinlichen, positioniert sich strategisch, antizipierend, vorausahnend und reagiert im Ernstfall gefasst. Sind wir robust oder resilient, halten wir die Umstände aus. Der Stressor zerstört die Substanz nicht. 

Und dennoch: „Die Katastrophe: Man malt sie sich aus, man erwartet sie mit Ungeduld, und wenn sie dann schließlich da ist, begreift man, daß nichts und niemand wirklich auf sie vorbereitet ist.“



Laurent Obertone: Guerilla. Verlag Antaios: Steigra 2019, geb., 384 S.



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Über die Autorin: Beate Broßmann, 1961 in Leipzig geboren, erfolgreiches Philosophie-Studium, vor der „Wende“ in der DDR Engagement für demokratische Reformen, später Mitglied der oppositionellen Vereinigung „Demokratischer Aufbruch“.





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