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Baal Müller: VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG IST GEGENWARTSSABOTAGE. RUDOLF BRANDNER ÜBER DIE GEISTIGE SELBSTZERSTÖRUNG EUROPAS

Der Philosoph Rudolf Brandner hat sich mit seinem bedeutsamen Werk „Muslimische Immigration und das Versagen der politischen Vernunft Europas“ zwischen alle Stühle gesetzt. Natürlich wird er für seine so fundierte wie streitbare Schrift keinen Blumentopf von Anhängern der Kartellparteien und Gläubigen der Mainstream-Medien bekommen, aber auch der Durchschnittskonservative aus dem alternativen Spektrum wird ihm dafür nicht auf die Schulter klopfen – zu weit ist Brandners Orientierung an der Aufklärung und deren Wurzeln in der klassischen Antike von allen üblichen Versuchen entfernt, uns das „christliche Abendland“ als vermeintliche Alternative zu Islamismus und Wokismus zu predigen.





Immer wieder stellt er klar, dass der Islam mit europäischer Kultur und Identität unvereinbar ist: „Durch die muslimische Immigration nach Europa prallen die Gegensätze nun hart aufeinander und zerreißen die europäische Lebenswelt. Es herrscht gegenseitige Ablehnung, Verachtung und Geringschätzung – mehr noch: Schrecken.“ (S. 7) Die Folge ist eine in Europa längst überwunden geglaubte und weder durch Gesundbeten der zerrütteten Gesellschaft unter ritueller Beschwörung „gemeinsamer Werte“ noch durch Tributzahlungen in Form von „Bürgergeld“ einzudämmende Wiederkehr religiöser Gewalt „im Zeichen der kulturellen Inkompatibilität der islamischen Welt mit der Moderne […].“ Der Islam kehrt sein autoaggressives Prinzip der Selbstunterwerfung unter einen allmächtigen Gott als „politische Kriegsreligion der Bekehrung und Vernichtung“ (S. 22) aggressiv nach außen gegen alle Nichtmuslime, weshalb auch die immer wieder, von den Muslimen wie ihren westlichen Handlangern gleichermaßen bejammerte „Diskriminierung“ auf einer Selbstausgrenzung beruht. Die islamische Immigration ist daher in Art und Ausmaß keine „Zuwanderung“ wie etwa die der Hugenotten, die sich in ihrer neuen preußischen Heimat vollständig assimilierten, sondern eine „Einwanderung“ nach dem Muster der europäischen Landnahme in Amerika – nur mit dem Unterschied, dass die Ureinwohner der Aufnahmeländer bislang noch keiner „ethnischen Säuberung“ zum Opfer fielen.


Gleichwohl betrachten „diejenigen, die schon länger hier leben“, bzw. deren (mehr oder weniger) intellektuelle Sprachrohre, sich oft so, als wären sie schon gar nicht mehr da. Die Ursachen liegen in einer Pathologie des modernen Bewusstseins, die Brandner gründlich und schonungslos seziert. Die Schuldlust deutscher Nachkriegsgenerationen, die sich in Selbsthass zerfrisst, in ritualisierten Anklagen und demütigenden Selbstbezichtigungsritualen entäußert und dazu verführt, alles Fremde „einzuladen“, um die eigene, immerzu bejammerte Identität wie in einem stillenden Ozean versinken zu lassen, ist seit Schrenck-Notzing häufig thematisiert worden; Brandner stellt sie jedoch in einen weiteren Rahmen, da ja die gesamte westliche Welt vom Unterwerfungs- und Selbstabschaffungswahn beherrscht wird – am meisten der protestantisch geprägte Kulturraum, der den ethischen Auftrag zu ständiger Gewissenszermarterung und Selbstzerknirschung in säkularisierter Form beibehielt. Das Ergebnis ist ein Bewusstsein, das seine Selbstachtung verloren hat und eine „aufgeweichte, pseudoreligiöse Befindlichkeit“ als „therapeutische Schwundstufe christlicher Mitleidsethik zum allgemeinen Gefühlskult“ erhebt, der sich nach jedem islamistischen Anschlag „in dieselben automatisierten Fertigformeln aus dem Sprechautomaten ergießt […].“ (S. 36) Vergangenheitsbewältigung wird zur „Gegenwartssabotage“ (S. 37), indem der Schuldbesessene seine eigene Geschichte als Abfolge bösartiger, pathologischer Ismen beschreit und die hereinströmenden bildungsfernen jungen Männer teils im Mitleidsselbstgenuss der „Willkommenskulturträger“ zu (Ersatz-)Hätschelkindern infantilisiert, teils als künftig steuerzahlende „Fachkräfte“ anpreist und als Pioniere eines neuen globalen Zeitalters begrüßt oder sie auch, in linker Schwundstufenideologie, als zeitgemäße Wiederkehr des ausgebeuteten, „revolutionären“ Subjekts feiert.


In Klaus Schwabs Great-Reset-Fantasien „wollen wir“ nichts mehr besitzen, und im „emanzipatorischen“, „antikolonialistischen“ Abklatsch dieser Milliardärsutopie „dürfen wir“ nichts mehr besitzen – in beiden Fällen darf der Migrant aber alles von uns fordern. Wer widerspricht, wird bestenfalls nur als egoistisch, gewöhnlich aber als ausländerfeindlich, rechtsextrem und „islamophob“ gebrandmarkt, wobei die Unterwerfung unter die Religion der Unterwerfung in einem merkwürdigen Verhältnis zu den restlinken Bekenntnissen zu Modernität, Feminismus und Queer-Ideologie steht. War der Aufklärer früher islamkritisch – bzw. im heutigen Denunziationsjargon „islamophob“ – und hatte mancher Rechter aufgrund seines autoritativ-reaktionären Habitus Sympathien für den Islam, so reibt man sich heute die Augen angesichts queerer Palästinenserfreunde, die sich „links“ nennen, und liberaler, proisraelischer Verteidiger eines skeptischen Rationalismus, die als „rechts“ verteufelt werden. Links ist mittlerweile also das Irrationale, Triebgesteuerte, rechts hingegen die politische Vernunft, und der Rechte erscheint, statt wie früher als Beschwörer kollektiver Mythen, als Verteidiger nicht nur der Demokratie gegen Faeser und Konsorten, sondern der Aufklärung und des humanistischen Erbes.


Die Grundlage einer geistigen Erneuerung Europas kann laut Brandner nur die „neuzeitliche Erkenntniskultur“ (S. 122) sein – nicht aber das absterbende Christentum, das sowohl von westlichen Gemütskitschverbreitern als auch von islamischen Einwanderern, die Säkularisation und Religionsfreiheit nicht verstanden haben, in einen falschen, längst überholten Gegensatz zum Islam manövriert wird. Der eigentliche Gegensatz „ist vielmehr ein geschichtlicher, der seinen Ursprung in der neuzeitlichen Abkehr von dem offenbarungstheologischen Wahrheitsanspruch der christlichen Religion hat und das menschliche Weltverhältnis wieder ganz der Autonomie des Erkennens unterstellt, wie es zum Teil schon in der Antike der Fall war. Eben darin besteht das ‚Neue‘ der ‚Neuzeit‘: dass die Grundlage menschlichen Weltverhältnisses von der religiösen Offenbarungswahrheit an die Selbstgewissheit des Erkennens in Philosophie und Wissenschaften übergeht. Das Christentum ist nun eine Sache der Vergangenheit […].“ (S. 102f.)


Christliche Dogmen sind „der modernen Erkenntniskultur nicht mehr zumutbar“ (S. 103); sie – oder die Anstrengungen bei ihrer Überwindung – bilden zwar einen Teil europäischer Identität, die Nähe des Christentums zum Islam aufgrund des gemeinsamen abrahamitischen Ursprungs überwiegt jedoch sein sekundäres, aufgepfropftes Verhältnis zur eigentlichen Identität Europas. Christentum und Islam erscheinen bei Brandner – zu Recht – als feindliche Brüder: „Es ist dieses negativ ausschließende Verhältnis zu anderen, das alle Monotheismen kennzeichnet: Die gewaltsame Bekehrung mit Feuer und Schwert, physischer Unterwerfung und Vernichtung – statt durch freie Überzeugung und geistige Anerkennung – war allen monotheistischen Religionen, wenn auch nach dem wechselnden Ausmaß ihrer militärischen Macht, geläufig. Der semitische Gott ist immer Eifer und Zorn, verzehrendes Feuer und Rache der Vernichtung.“ (S. 18) In seinem Namen vollzieht sich eine „autoritäre“ oder „totalitäre“ Gemeinschaftsbildung, „die sich in der Unbedingtheit der Gesetze niederschlägt und mit Tod und Vernichtung bedroht, wer sich gegen sie kehrt“ (ebd.). Bei den polytheistischen Religionen, die eher den Normalfall menschlicher Religiosität darstellen, von dem der Monotheismus in seinen diversen Spielarten abgewichen ist, konstituierte sich die kollektive Identität hingegen durch gemeinsame Kulte, die mythische Ursprungserzählungen rituell erneuerten.


Allein, Rom ist untergegangen – das Heidnische schon länger, beim Christlichen sehen wir noch den letzten Akt der Tragödie –, und viele Wege führen zwar hin, aber nicht in seine Vergangenheit. Und hier liegt der wunde Punkt in Brandners beeindruckendem, überaus dicht und redundanzfrei geschriebenem Buch: Er skizziert zwar, welche Bildungsmaßnahmen zu ergreifen wären, um den humanistischen Geist des Abendlandes wiederzubeleben und den Islam, so er nicht mehr verdrängt werden kann, „einzuschmelzen“ und zu europäisieren, aber er verrät nicht, aufgrund welcher umwälzenden Kehre dies plötzlich möglich sein sollte. Schließlich liegt „der Verfall kulturgeschichtlichen Selbstbewusstseins im Prozess der Moderne selbst“ (S. 51), wie er nicht müde wird zu betonen, und ist nicht etwa nur eine im Prinzip kurierbare Psychose. Wir sind nicht zufällig verrückt geworden! Der Nihilismus, den sämtliche links-grün-woke Narreteien der Gegenwart zu übertünchen versuchen – und ihn dabei noch greller und zur Kenntlichkeit entstellend schminken –, folgt aus dem „Grundgeschehen der Moderne“ (S. 52) mit seiner Technologisierung, Standardisierung und Nivellierung aller Lebensbereiche. „Das geschichtlich negative Selbstverhältnis gehört zur Genese der modernen westlichen Welt; und was als postmoderner ‚Verfall‘ (décadence) kulturgeschichtlich ausgebildeten Selbstseins, als Selbstzerwürfnis der Moderne in Erscheinung tritt“, ist „das Resultat eines geschichtlichen Prozesses, der alle geistig schöpferischen Kräfte in die Negativität technologischer Daseinsmacht bannt – unvermögend, selbst einen zureichenden Horizont menschlichen In-der-Welt-seins zu erzeugen, der als Analogat oder funktionales Äquivalent vormaliger Verwirklichung des Selbstbewusstseins fungieren könnte“ (S. 52f.).


Etwas einfacher gesagt: Aufklärung, Rationalismus und Liberalität bringen selbst den Nihilismus hervor, der das geistige Einfallstor der Islamisierung bildet, die Europa gleichsam wieder mit einer früheren Entwicklungsstufe seiner selbst konfrontiert und die einstigen Konflikte auf einer höheren Stufe wiederholt, ohne dass deren Aufhebung auf einer neuen, vermittelnden Ebene möglich wäre. Es handelt sich nun nicht mehr um einen dogmatischen, also irrationalen und per se unlösbaren Konflikt zweier Konfessionen, der durch die Einnahme eines externen Standpunktes der „Toleranz“ und „Religionsfreiheit“ neutralisiert werden könnte, sondern um den Kampf von Religion versus Nichtreligion, denn Aufklärung und Wissenschaft sind nicht einfach „Weltanschauungen“ wie die einander bekämpfenden Religionen, sondern deren Verneinung.


Wie aber soll nun aus diesem Nein ein neues Ja – zur eigenen Identität, zum europäischen Geist – folgen, das Brandner so nachdrücklich fordert? Bedarf es hier nicht doch eines neuen metaphysischen Fundamentes? Lebt nicht nur die Demokratie, sondern auch die Wissenschaft von Voraussetzungen, die sie nicht selbst erzeugen kann? Und stehen Wissenschaft und Religion einander wirklich so fremd und unversöhnlich gegenüber, wie es bei Brandner den Anschein hat? Seine kurzen Andeutungen über die polytheistische Religion, für die es noch keinen Gegensatz zwischen Glauben und Wissen gab, verdienten es, weiter ausgeführt zu werden, und vielleicht könnte der Indologe Brandner dem Philosophen dabei sogar behilflich sein, ein Modell für eine Koexistenz und wechselseitige Ergänzung von Religion und Wissenschaft zu entwerfen; schließlich zeigen Indien und andere asiatische Länder, dass es sich bei dem Antagonismus beider vielleicht nur um einen europäischen Sonderweg handelt, den wir auch wieder verlassen könnten – nicht um unsere Identität zu verlieren, sondern um sie wiederzufinden.


Rudolf Brandner: Muslimische Immigration und das Versagen der politischen Vernunft Europas. Vierzehnte Ausgabe der Werkreihe TUMULT. Hrsg. von Frank Böckelmann. Manuscriptum Verlagsbuchhandlung: Lüdinghausen/Berlin 2024



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Über den Autor: Baal Müller, geb. 1969 in Frankfurt/Main, studierte Germanistik und Philosophie in Heidelberg und München. Promotion 2004 mit einer Arbeit über Ludwig Klages und Alfred Schuler (Kosmik 2007; Neuausgabe 2020). Gleichzeitig edierte er Schulers Gesammelte Werke textkritisch aus dem Nachlass. Von 2003 bis 2015 war er Inhaber des Telesma-Verlags. Seit Ende der neunziger Jahre Beiträge in vielen Zeitschriften. Gegenwärtig lebt er als Schriftsteller, Übersetzer, politischer Berater, Pressereferent und Ghostwriter im brandenburgischen Treuenbrietzen sowie gelegentlich in Georgien. Er ist Mitbegründer der Künstlergruppe „Orphischer Kreis“. Zuletzt veröffentlichte er den Gedichtband Wendische Fahrt (2016), eine Neubearbeitung der Nibelungensage (Hildebrands Nibelungenlied, 2017) und das materialreiche Grundlagenwerk Die Selbstzerstörung der Demokratie - Deutschland am Abgrund, Gelnhausen 2020.




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