Von Geistesgrößen wie Liane Bednarz und Andreas - "der heißt wirklich so" - Speit zur Selbstfindung und -vergewisserung angeregt, begibt sich unsere Autorin Angela Wierig auf die Suche. Und während sie sich noch ergebnisoffen fragt, ob sie nach jetzigem Stand bloß "Primitivbürgerin", ob sie noch Teil einer vielzitierten "infiltrierten Mitte" oder aber bereits Parteigängerin der ominösen "Neuen Rechten" ist, drängt sich ihr allmählich die dunkle, multimedial ventilierte Wahrheit auf: Sie ist - wie so viele heute - längst eine "Ein-Frau-Terrorzelle" - zwar ohne jede Gewalt, doch ist deren physische Anwendung für zeitgenössische Terror-Definitioren ohnehin verzichtbar.
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Alles ist Wandlung. Alles fließt. Alles ist Bewegung und im Stillstand die Verwesung nahe. Insofern bin ich eine Anhängerin von Bewegung. Nicht gerade der körperlicher Art – da halte ich es eher mit Churchill (der Name wird den Älteren noch ein Begriff sein), doch geistig rege zu sein, dürfte nicht nur im hohen Alter als mitleidvolle Anerkennung erstrebenswert erscheinen, sondern grundsätzlich ist ein lebhaftes Training des Gehirns eine feine Sache. Bewegen sollen sie sich, die grauen Zellen. Mal in diese, mal in jene Richtung, denn die einseitige Beanspruchung führt zu so unschönen Erscheinungen, wie ein Körper, dessen Muskelpartien nicht gleichmäßig beansprucht wurden.
So in etwa:
Und nun müssen Sie sich vorstellen, obiges Bild würde keinen Oberkörper darstellen, sondern ein Hirn. Links übertrainiert; rechts viril wie ein Suppengockel. Wenn solche Hirne versuchen zu denken, dann kommt dabei heraus, dass Deutschland eine neue rechte Mitte hat. Diese „rechte Mitte“ – bitte, was soll das sein? Eine Mitte ist eine Mitte ist eine Mitte. Ich erteile Andreas Speit (der heißt wirklich so - das Leben kann so humorvoll sein) das Wort, denn ich bin absolut dafür, Menschen ihre Meinungen auch äußern zu lassen. Wie soll man denn sonst wissen, welch Geistes Kind sie sind?
Andreas ist der Ansicht, die politische Atmosphäre in Deutschland habe sich nachhaltig verändert, denn „rechtspopulistische und rechtsextreme Strömungen“ seien „im Aufwind“ und „erweisen sich als anschlussfähig an Akteure, die für sich eine Position in der politischen Mitte reklamieren“. Natürlich werden diese „Akteure“ namentlich genannt und die „Verbindungen“ untereinander aufgezeigt – der interessierte Leser sollte schon wissen, wem er die Scheibe einschlägt oder das Haus mit Parolen beschmiert. Herr Speit macht sich dann sogar noch die Mühe, den „Hass im Netz“ offenzulegen der der „realen Gewalt auf der Straße vorausgeht“. Wobei er überraschenderweise nicht den Hass meint, der im Netz dazu rät, die aufgesetzte Leuchtpistole am Kopf des neuen Rechten abzufeuern (was im Übrigen kein Terror, sondern Gutmenschentum in Vollendung ist), sondern den anderen. Den bösen Hass. Nicht den guten. Dann klärt er noch über die „neurechten Bewegungen mit intellektuellem Anstrich sowie mit ihren publizistischen Organe“ auf und öffnet seinen unbedarften Lesern die Augen, wie die Vertreter der neuen Rechten „öffentlichkeitswirksam gegen vermeintliche Denkverbote wettern“.
Zu den „vermeintlichen“ Denkverboten hat kürzlich ein gewisser Klaus-Rüdiger Mai einen lesenswerten Beitrag geschrieben und festgestellt: „In Deutschland herrscht ein zunehmend repressives Klima“. Für Interessierte hier nachzulesen. Nun ist die NZZ bekannt für ihre rechtsradikalen Ansichten und der Andreas wird schon Recht haben, wenn er die von ihm beobachteten Begebenheiten unter dem Begriff „bürgerliche Scharfmacher“ zusammenfasst. Wahrscheinlich ist Klaus-Rüdiger Mai auch so ein bürgerlicher Scharfmacher. Und ich habe es nur nicht mitbekommen. Und übrigens herrscht in Deutschland keineswegs ein Denkverbot – denken ist im Rahmen der intellektuellen Möglichkeiten durchaus noch erlaubt – virulent wird es erst, wenn die entsprechenden Gedanken auch geäußert werden.
Andreas ist auch nicht alleine - Liane Bednarz und Christoph Giesa haben auch festgestellt, dass Bücher über die Gefahr von rechts sich gut verkaufen und hauen dann gleich mal die „Gefährlichen Bürger“ raus. Diese gefährlichen Menschen seien „stramm rechte Intellektuelle“ und „infiltrieren die bürgerliche Mitte“. Die bürgerliche Mitte ist nach dem Evangelium nach Andreas ja nun bereits rechts – die wird dann also noch viel rechtser. Da eine Mitte nicht Rechts sein kann, erkläre ich diesen sprachlich-logischen Komplettausfall mit dem Umstand, dass Andreas, Liane und Christoph in merkelsche Zitteranfälle verfallen würden, müssten sie zugeben, dass die so geschmähte bürgerliche Mitte eventuell eine Mehrheit stellen könnte. Trotzig befanden sie doch, sie seien „mehr“. Mehr was?
Tief in den verschrumpelten Windungen ihrer – nennen wir sie meinetwegen Gehirne – dürfte den drei kleinen Strolchen bewusst sein, dass die bürgerliche Mitte einen Grund für ihre Ansichten und Tendenzen hat.
Anstatt sich mit diesen Gründen auseinanderzusetzen, greifen Liane und Christoph jedoch lieber zur Allzweckwaffe der derben Beleidigung. Warum auch nicht. Die Politik macht es doch vor. Das „Pack“ von Pegida und der gut gemeinte Rat, Deutschland zu verlassen, wenn man mit der merkelschen Politik nicht einverstanden ist. Der Fisch stinkt immer vom Kopf.
Und so ist nach dem Evangelium nach Liane und Christoph der „Bildungsbürger ein Primitivbürger“ geworden. Dieser „wehre sich aggressiv gegen alles, das ihm gegen den Strich gehe und ist anfällig für jedwede Hetze. Der Sinn für Gemeinwesen und Verantwortung, das Selbstverständnis eines Citoyens sei ihm verlorengegangen“ (das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen und dann je nach Charaktertyp in Tränen oder schallendes Gelächter ausbrechen).
Der Primitivbürger ist also ein Bürgerlicher, der der Beeinflussung durch Intellektuelle ausgesetzt war. Ob diese Intellektuellen nun stramm rechts oder sonst was sind – liebe Liane, lieber Christoph: Intellektuell bedeutet dem Wortsinn nach, über einen scharfen Verstand zu verfügen. Nein, Liebes, nicht scharf im Sinn von Chilis, das andere scharf. Primitiv wiederum wird allgemein als mindere Intelligenz verstanden. Und nun Ihr Lieben: findet den Fehler.
Primitiv ist nach Auffassung von diesen beiden sprachschmalbrüstigen Wortschöpfern jede Haltung, die „gegen alles Fremde gehe, gegen Ausländer im Allgemeinen und Flüchtlinge im Besonderen, gegen Homosexuelle, den Islam oder die europäische Idee“. Ganz besonders treibt sie um, dass die neue Rechte doch tatsächlich die „Demokratie als Diktatur des Mainstream herabwürdigt“. Das „herabwürdigt“ ist schön. Das impliziert, wie hoch die Autoren die Demokratie schätzen. Die schätzen sie so sehr, dass sie an die „Zivilcourage ihrer Leser“ appellieren, „sich im alltäglichen Gespräch platte Ressentiments zu verbitten, ein „Man-wird-ja-wohl-noch-sagen-dürfen...“ mit einem „Nein,-man-darf-nicht!“ zu kontern“. Das ist gelebte Demokratie. Von Primitivlingen.
Und insofern erlaube ich mir, folgendes zu sagen: Nicht jeder, der etwas gegen die Islamisierung Deutschlands hat, hat etwas gegen Ausländer oder Flüchtlinge. Oder gegen homosexuelle Ausländer, homosexuelle Flüchtlinge oder schlicht Homosexuelle. Und die Diktatur der EU nicht gut zu finden, hat nichts mit einer generellen Verwerfung der europäischen Idee zu tun. Das hat mit etwas gänzlich anderem zu tun: mit Fakten.
Fakt ist, dass wann immer ich mit Menschen über die zunehmenden Migrationszahlen spreche, mir entgegengehalten wird, dass das doch angesichts der Gesamtbevölkerung verschwindend geringe Zahlen seien. Nun, aktuell sind es 23,6 Prozent. Fast jeder vierte. Das finde ich nicht gerade verschwindend gering. So bezogen auf ganz Deutschland. Hier in Hamburg stellt sich die Situation allerdings ganz anders dar. Hier ist es nicht jeder vierte, der einen Migrationshintergrund hat, hier ist es – in einigen wenigen Stadtteilen - jeder vierte, der ihn nicht hat. Bei der Bevölkerungsgruppe unter 18 Jahren ist Billbrook mit einem Anteil von 97,4 % Migrationshintergründiger Spitzenreiter. Im Bezirk Mitte sind es 71,5 % und in den anderen Bezirken jeweils knapp über 40%. Möchte mir jetzt ernsthaft noch jemand etwas über Integration erzählen? Wo sollen die sich denn hineinintegrieren?
Das Gegenteil ist der Fall: aus Multikulti wird Monokulti. In einem meiner bevorzugten vietnamesischen Restaurants – es liegt bei meinem Büro um die Ecke – wird kein Schweinefleisch serviert. Als Begründung nannte mir der Betreiber seine moslemischen Gäste – die hätten das nicht so gerne gesehen. So wurde es von der Karte genommen. Und derweil demonstrieren die Hamburger dafür, Hamburg zum sicheren Hafen für Flüchtlinge zu erklären. Angesichts der humanitären Katastrophen rund ums Mittelmeer. Genau – kommt alle her. Ich kann nur hoffen, ich bekomme eine Duldung. Kommt drauf an, wer dann hier das sagen hat. Falls es Moslems sind, sind meine Chancen schlecht.
Und nein – ich bin keineswegs islamophob; ich habe keine Angst vor dem Islam – ich mag ihn einfach nicht. Wie Rosenkohl. Ich mag auch keinen Rosenkohl, bin aber weit davon entfernt, Angst vor Rosenkohl zu haben. Ich mag den Islam nicht, weil er so fernab der Toleranz agiert. Also – aktiv. Aktive Toleranz zu praktizieren ist seine Sache nicht – bei dem Thema Toleranz einzufordern, werden dann hingegen alle Kräfte mobilisiert. Deshalb mag ich auch „die Flüchtlinge“ – man gestatte mir die kurze Verallgemeinerung – nicht besonders. Ich habe durch meinen Beruf durchaus meine eigenen Erfahrungen gesammelt und kann sowohl Christiane Soler als auch Katja Schneidt nur beipflichten.
Ich bin gewiss nicht so naiv, dass ich Dankbarkeit erwarte – aber zumindest einen respektvollen Umgang. Was ich tatsächlich erlebe, ist eine fordernde Haltung bis zur Unerträglichkeit. Um dann darüber belehrt zu werden, dass ich nicht verstehen würde, wie das „bei uns ist“. Wohlgemerkt von Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, sich aber den Werten und Traditionen ihres anatolischen Bergdorfes mehr verpflichtet fühlen, als dem Minimalanstand ihrer Rechtsanwältin gegenüber. Und bei jenen, die tatsächlich erst kurz in Deutschland sind – es ist eine fremde und seltsame Welt. Für mich wie für sie. Und es steckt kein Segen drin. Weder für mich, noch für sie.
Warum nur, frage ich mich, stecken sich so viele Menschen die Finger in die Ohren und singen laut la-la-la, wenn dieses Thema zur Sprache kommt? Oder werden gleich dermaßen aggressiv, als ginge es um ihr Leben? Entschuldigung – es geht hier um mein Leben. Es geht darum, ob Freiheiten, die mühsam erkämpft wurden, auch künftig noch Bestand haben werden. Es geht darum, genau hinzuschauen. Und die Beobachtungen mitteilen zu dürfen. Es geht darum, dass, während ich dies schreibe, seit einer knappen Woche die Aufnahmen der Frontex Drohne bekannt sind – berichtet wird in den Mainstreammedien über die guten Menschen auf der Sea Watch 3.
Ich habe das Frontex-Video auf Facebook geteilt. Und ich weiß genau, in welcher Schublade ich – einmal mehr – dafür lande. Auf meine Schublade wird „Neue Rechte“ gekritzelt. Liane und Christoph würden mich wohl als „Primitivbürgerin“ bezeichnen und Andreas? Reicht es schon für eine „bürgerliche Scharfmacherin“ oder bin ich nur „infiltrierte Mitte“? Weder noch, Ihr Lieben: Ich bin eine Terrorzelle. Eine Ein-Frau-Terrorzelle. Nun gut – ich habe weder Anschläge noch Gewalttaten im Sinn, aber auf solche Kleinigkeiten kommt es ja auch nicht an. Wir leben in Zeiten, in denen der Zweck so ziemlich jedes Mittel heiligt und wie angenehm wäre es doch, über dieses lästige Grundrecht der freien Meinungsäußerung nicht mehr diskutieren zu müssen. Einfach mal die kühnen Gedanken von Seehofer und Tauber konsequent zu Ende gedacht.
Ich würde ja vorschlagen, über eine Grundrechtseinschränkung nachzudenken, wenn es um den Missbrauch des Asylrechts geht. Bitte verstehen Sie diese radikale Ansicht lediglich als freie Meinungsäußerung im Kontext von Seehofer und Tauber. Und keine Sorge – diese für mich durchaus naheliegende Idee ist weiter entfernt als entfernt sein kann. Hat doch der Europäische Gerichtshof kürzlich den Klagen dreier Flüchtlinge stattgegeben, denen der Flüchtlingsstatus aberkannt wurde und die Abschiebung drohte. In einem Fall war der Täter wegen wiederholter Raubüberfälle und Erpressung zu neun Jahren Haft verurteilt worden, in einem anderen zu vier Jahren wegen der Vergewaltigung einer Minderjährigen und der Dritte wegen Diebstahls mit vorsätzlicher Tötung zu 25 Jahren Haft. Weshalb die betroffenen Länder diese Verbrecher gerne wieder dorthin geschickt hätten, wo sie herkamen. Nö, urteilte der EuGH, der Anspruch auf Schutz durch die Genfer Flüchtlingskonvention und die EU-Grundrechte wiege schwerer, als das Interesse der Bevölkerung des Landes, weder beraubt, erpresst, als Minderjährige vergewaltigt oder getötet zu werden. Einmal dort, müsst ihr sie auch behalten. Und ja, in diesem Zusammenhang habe ich auch etwas gegen die Bevormundung aus Luxemburg.
Und während meine Terrorzelle lediglich dem Tagtraum entspringt, meinen Gatten zu bitten, mir die Kalaschnikow zu reichen, sind entsprechende Bestrebungen realiter zu verzeichnen. Wenn man denn – mit dem gebührenden Abschlag – der Berichterstattung der letzten Tage Glauben schenken mag. Ich lese von einer „Nazi-Terrorzelle“ und „Todeslisten, Ätzkalk und Leichensäcken“. Von Menschen „aus dem Umfeld“ von Bundeswehr und Polizei, die sich organisiert haben sollen. Der Verfassungsschutz warnt den Bundestag, dass die Popularitätswerte ins Bodenlose rauschen. Es könnte daran liegen, dass die Politik an den Fakten vorbeiregiert. Es würde mir durchaus einleuchten, wenn Menschen, die nicht wie ich die Gnade der frühen Geburt hatten, ernsthaft befürchten, dass Verhältnisse entstehen, unter denen sie nicht leben möchten. Ich erlaube mir, daran zu erinnern, dass die Rechtsgrundlage für Merkels Grenzöffnung im Jahr 2015 bis heute ungeklärt ist. Das Gutachten der wissenschaftlichen Dienste des Bundestages kam 2017 zu dem Ergebnis, dass die Frau Bundeskanzlerin keine Kompetenz hatte, diese Entscheidung zu treffen. Konsequenzen haben sich bis heute aus diesem Vorgang nicht ergeben.
Insofern: ist das vielleicht alles kein Terror? Ist die Nazi-Terrorzelle in Wirklichkeit eine Widerstandszelle? Gerechtfertigt durch Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz? Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob abgewartet werden muss, bis die Rechtsordnung komplett zerstört und die Ordnung abgeschafft ist oder ob das Widerstandsrecht schon die Vorbereitungen des Umsturzes bekämpfen darf. Sollte ein entsprechender Prozess gegen das „Nazi-Netzwerk“ stattfinden, werde ich den mit Interesse beobachten. Und bin mir sicher, dass die oben angestellten Erwägungen nicht mit einem Wort erwähnt werden. Wir leben in interessanten Zeiten.
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Über die Autorin:
ANGELA WIERIG (*1962); nach erster Karriere als Barfrau 1990 Studium der Rechtswissenschaft in Hamburg; seit 1998 selbstständig als Strafverteidigerin; von Mai 2013 bis Dezember 2018 Nebenklagevertreterin im sogenannten NSU-Prozess.
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