top of page

Adorján Kovács: DIE LINKEN SIND DIE FEINDE REINER WISSENSCHAFT

Aktualisiert: 26. Feb. 2020

Was ist und wozu dient Wissenschaft heute? Die bekannte Kritik Martin Heideggers beschränkte sich vor allem auf die Technik, während Max Horkheimers und Theodor Adornos Denunziation der aufklärerischen Vernunft als Rückschlag in Mythologie verräterisch nur zu einer Kritik von kapitalistischer Ökonomie und bürgerlicher Gesellschaft des Westens führte. Eine eigentliche Kritik von Wissenschaft als solcher bieten diese Autoren nicht. Der ungarisch-britische Chemiker und Philosoph Michael Polanyi hat ein Werk hinterlassen, das im angelsächsischen Bereich von großer Wirkung ist. Typischerweise ist sein Werk nur sporadisch auf Deutsch übersetzt, gerade sein Hauptwerk Personal Knowledge: Towards a Post-Critical Philosophy (Chicago, 1958) ist es nicht. Der Grund ist sicherlich, dass Polanyi mit einer naiv „modernen“ positivistischen, mechanistischen Wissensvorstellung bzw. dem aus ihr entspringenden Zweifel an den Grundwerten der westlichen Zivilisation aufräumt und persönliches Urteil, Engagement und Glauben als Quellen des Wissens wiederherstellt. Das passt wenig in den links dominierten öffentlichen bundesdeutschen Diskurs. Warum?


Polanyi vertritt unter anderem die These, „dass wir mehr wissen als wir zu sagen wissen“[1]. Dieses „implizite“ Wissen ist nicht mit dem Freudschen „Unbewußten“ identisch, sondern kann gestaltpsychologisch verstanden werden. Die Gestaltpsychologie geht von der primären Ganzheitlichkeit, Strukturiertheit und Dynamik seelischer Gegebenheiten aus; man nimmt mehr Ordnung, Strukturen, Qualitäten wahr als sich aus der Anordnung einzelner Sinneseindrücke ergeben. Reine wissenschaftliche Erkenntnis bleibt für Polanyi von höchster Wichtigkeit. „Implizites“ Wissen, resultierend aus der engagierten Beteiligung des Wissenschaftlers, bildet dazu lediglich eine Ergänzung und macht die Erkenntnis persönlicher, letztlich menschlicher und gibt der Wissenschaft einen Platz in einer integrierten Kultur der menschlichen Auseinandersetzung mit der Realität. Damit entlarvt Polanyi freilich das aufklärerische Ideal eines streng objektiven, restlos transparenten Wissens als Illusion. Wissenschaft beruht zu einem Teil auf Tradition, Autorität, nicht hinterfragten Vorannahmen, metaphysischen Überzeugungen und persönlichen Entscheidungen. Diese Schicht des Wissens muß berücksichtigt werden, weil sie sich dem gewussten Wissen entzieht, das dann positivistisch und mechanistisch irregeleitet werden kann und so ein totalitäres Potential entwickelt.


Polanyi berichtet in seinem Buch Implizites Wissen von einer entscheidenden Begegnung:

„Philosophischen Fragen begegnete ich erstmals, als ich mit der sowjetischen Ideologie unter Stalin konfrontiert war, die dem Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis jede Legitimation absprach. Ich erinnere mich an eine Unterredung, die ich 1935 mit Bucharin in Moskau hatte. Obwohl er bald darauf gestürzt und drei Jahre später hingerichtet werden sollte, war er zu jenem Zeitpunkt noch einer der führenden Theoretiker der Kommunistischen Partei. Als ich ihn danach fragte, wie es in der Sowjetunion mit dem Streben nach reiner Wissenschaft bestellt sei, sagte er, reine Wissenschaft sei ein morbides Symptom einer Klassengesellschaft; im Sozialismus werde die Idee einer um ihrer selbst willen betriebenen Wissenschaft verschwinden, denn die Interessen der Wissenschaftler würden sich dann spontan auf die anstehenden Probleme des laufenden Fünfjahresplanes richten.


Ich war frappiert von der Tatsache, dass sich die Leugnung schon der bloßen Existenz unabhängigen wissenschaftlichen Denkens von einer sozialistischen Theorie herleitete, die ihre enorme Überzeugungskraft gerade dem Anspruch auf wissenschaftliche Gewissheit verdankte. Die wissenschaftliche Weltanschauung schien eine mechanistische Auffassung des Menschen und der Geschichte hervorgebracht zu haben, in der für die Wissenschaft selbst kein Platz mehr war. Zugleich sprach diese Auffassung dem Denken jedes Eigengewicht ab und entzog damit auch dem Anspruch auf Gedankenfreiheit jede Grundlage.“


Polanyi beobachtete, dass dieses sacrificium intellectus auf einem „intensiven moralischen Bewusstsein“ beruhte, das mit einer vollkommen mechanistischen, völlig klaren materialistischen Geschichts- und Wissensvorstellung verbunden war.


„Der mechanistische Ablauf der Geschichte sollte umfassende Gerechtigkeit mit sich bringen; wissenschaftliche Skepsis brauchte sich nur auf die materielle Notwendigkeit zu verlassen, damit alle Menschen Brüder würden.“

Das war genau die linke utopistische Klarheit, die, wie er erkannte, zu einem gefährlichen Fanatismus führen musste.


Einige Jahre später sieht der deutsche Philosoph Hermann Schmitz die Ursache für diese epistemologische Verengung (vor allem in seinem Hauptwerk System der Philosophie [Bonn, 1964-1980]) im ontologischen Rationalismus, der meint, die Ansprüche der Rationalität an die angewandte Methodik kritiklos auf die Realität ausdehnen zu können. Der rationalistische Komplexitätsbegriff nämlich nimmt Komplexität für jeden Fall hoher Anzahlen für sich in Anspruch. Doch ist nicht alles ohne Weiteres einzeln. Die realistische (und nicht rationalistische!) Betrachtung der Wirklichkeit ist phänomenologisch, das heißt sie macht deren situative Gehebenheit bewusst. Und Situationen sind nach Schmitz „chaotisch-mannigfaltige Ganzheiten“[2], deren Elemente hinsichtlich Identität und Verschiedenheit unentschieden, also nicht zahlfähig, vorliegen. Darum sind sie „binnendiffus“, sodass in ihnen nicht alles einzeln ist, das heißt, eine Anzahl um eins vermehrt. Die Realität ist demnach nicht komplett mathematisierbar. (Nicht umsonst hat sich Schmitz auch an der Gestaltpsychologie orientiert.) Situationen wiederum sind das, was das Subjekt in der realen Lebenserfahrung ständig antrifft, aber nicht ernst nehmen durfte, weil alle Tatsachen für die moderne Wissenschaft objektiv sein mussten. Schmitz gibt dem Subjekt aber die für es „subjektiven Tatsachen“ zurück, „die nur einer im eigenen Namen aussagen kann – egal wie viel Andere wissen und wie gut sie sprechen können“. Objektivität entsteht erst nach Abschälung ursprünglicher Subjektivität.


Die „Rationalitätsillusion“[3] Nikolai Bucharins bestand in genau diesem simplifizierenden „Rationalismus der Sache“[4], in der mechanistischen Auffassung von der Wirklichkeit, der Schmitz den phänomenadäquaten Komplexitätsbegriff bei gleichzeitigem „Rationalismus der Methode“ entgegensetzt, ähnlich wie Polanyi zwar ohne Wenn und Aber reine Wissenschaft verfolgte, doch „implizites“ Wissen nicht unberücksichtigt lassen wollte. Ähnlich wie Polanyi nicht beabsichtigte, die reine Wissenschaft abzuschaffen, sondern sie menschlicher zu machen, betonte Schmitz, den Menschen ihr wirkliches Leben begreiflich und ihnen ihre unwillkürliche Lebenserfahrung zugänglich machen zu wollen, ohne auf wissenschaftliche Reinheit zu verzichten. Die klassische Auffassung von der unparteilichen, weltanschaulichen neutralen, ergebnisoffenen und objektiven Wissenschaft wird damit beibehalten, aber humanisiert. Ihre Objektivität ist zwar bedingt und sie ist nur teilweise transparent, aber das kann durch die Berücksichtigung „impliziten“ Wissens und die Vermeidung eines falschen Rationalismus ausgeglichen werden.


Man könnte meinen, das fatale aufklärerische Ideal des Wissens als Mittel zum Zweck sei schon seit der Renaissance in der utilitaristischen Parole des Barons von Verulam in dessen Meditationes sacrae (1597) ausgedrückt: „Nam et ipsa scientia potestas est.“ Doch dürfte der englische Begründer der quantitativ-mechanistischen Induktion noch nicht an politische Macht gedacht haben, ging es ihm doch in seinem Machtbegriff nur darum, zu verhindern, sich bei Unkenntnis der Ursache über die Wirkung zu täuschen. Aber der Weg war gebahnt. Was Aristoteles und die Scholastik noch als bloßes banausisches „Können“ gewertet hätten, wurde nun zum empiristisch ermittelten „Wissen“ und der Mensch zum Knecht von dessen rein im material Technischen befindlichen Zweck. Der Mensch wurde damit von sich selbst und seiner Freiheit weggeführt. Man musste dann nur noch etwas ruchloser sein, um den nächsten Schritt zu tun: zur seit Karl Marx erfolgten linken Kaperung der Wissenschaft als politischer Waffe. Damit sollte die Verteidigung des Wissens als Selbstzweck noch schwerer werden.


Denn die beschriebenen subtilen, humanisierenden Korrekturen des geltenden „modernen“ Wissenschaftsbildes durch Polanyi und Schmitz können von Linken nicht akzeptiert werden. Der erste Grund dafür ist, dass Wissenschaft ihnen nach wie vor, ja, sogar in verstärkter Weise Mittel zum Zweck ist als dies bei Francis Bacon und den Aufklärern der Fall war. Mit ihrer Wissenschaftsauffassung lehnen sie, um Polanyi zu wiederholen, diesen Grundwert der westlichen Zivilisation in Wirklichkeit ebenso ab wie das offene und kreative Denken oder die Gedankenfreiheit. Sie halten in einer vulgären Weise am überholten aufklärerischen „Ideal eines streng objektiven, restlos transparenten Wissens“ fest, weil sie nur gewusstes (nicht aber auch „implizites“) Wissen anerkennen und so dem „Rationalismus der Sache“ mit einem verkürzten Objektivitätsbegriff verfallen sind. Sie behaupten deshalb außerdem, wie weiland Bucharin, zu wissen, welchen Verlauf die Geschichte nehmen wird (Stichworte sind „Fortschritt“ und „Emanzipation“), weil für sie Wissenschaft nicht ergebnisoffen ist, sondern notwendige Ziele hat und sie Geschichte durch Wissenschaft in ihrem Sinn beeinflussen wollen. Deshalb politisieren sie die Wissenschaft.


Ulrich Hintze hat in seiner Theoria Politica Generalis[5], einem noch wenig bekannten zukünftigen Klassiker der Politologie, die prekäre Folge dieser Verbindung gezeigt.


„Alles ist politisierbar, gerade so wie alles wissenschaftsfähig ist. Wissenschaft ist politisierbar und Politik ist wissenschaftsfähig. Aber Wissenschaft von der Politik ist nicht selber Politik, ebenso wie politische Wissenschaft aufhört, Wissenschaft zu sein. In der Wissenschaft findet Politik ihr Gegenbild und man könnte sagen, dass Politik das ist, was nicht Wissenschaft ist.“

Sie schließen sich gleichsam aus, weil sie unter sämtlichen menschlichen Bindungen (außer der ihnen übergeordneten Philosophie) die umfassendste potentielle Anwendungsfähigkeit haben.


„Ideal allerdings wäre, wenn der Mensch sich seiner philosophischen Erkenntnisaufgabe ausschließlich mit Hilfe der Wissenschaft ganz ohne politische Rücksichten widmen könnte. Durch den Einbruch des Politischen wird der Mensch aus einem prekären Paradies freier Erkenntnisarbeit verstoßen.“

Der zweite Grund ist, dass es Linken gar nicht um Erkenntnis oder Wahrheit geht. Das muss man sich erst einmal klarmachen. Denn zunächst ist man, wie Polanyi, angesichts dieser Tatsache einfach nur „frappiert“. Der deutsche Philosoph Daniel von Wachter schreibt in einem Artikel[6] zu den Motiven der Linken:


„Dass das Grundmotiv des Sozialismus nicht eine Theorie ist, darauf wies Marx selbst in einem vielzitierten Satz hin [elfte der Thesen über Feuerbach (1845); AK]: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.« Man muss diesen Satz nur genau lesen und die Sozialisten beobachten, dann versteht man den Sozialismus. Die vorgetragenen Theorien wie der Marxismus-Leninismus dienen gar nicht der Wahrheitssuche, sondern sie dienen dazu, die Welt in einer bestimmten Weise zu verändern.“

Überraschend häufig geben Linke das auch heute, ebenso wie Bucharin 1935, zu, weil sie offenbar glauben, dass ihr politisierter Wissenschaftsbegriff noch etwas mit echter Wissenschaft zu tun habe. Dieser Glaube hat also auch nichts mit Josef Stalin und dessen angeblicher Abirrung vom wahrhaft sozialistischen Gang der Dinge zu tun, wie linke Abwiegler behaupten dürften, sondern ist genuin links. The issue is never the issue, the issue is always the revolution. Als Beispiel für eine völlig politisierte und ideologisierte (Pseudo-)Wissenschaft von heute mögen die Gender Studies dienen.

So zitieren Harald Schulze-Eisentraut und Alexander Ulfig, Herausgeber der bisher einzigen kritischen wissenschaftlichen Würdigung der Gender Studies[7], (auf Seite 4 ihres Buches) so genannte Genderwissenschaftler:


„Von Anfang an bestand […] eine enge Verknüpfung von Frauenbewegung und Frauenforschung, von Politik und Wissenschaft. Die Frauenforschung kann daher als ein »verlängerter Arm der politischen Frauenbewegung« betrachtet werden, wie auch führende Vertreterinnen der Gender Studies betonen[8]. Das hat Folgen für das Wissenschaftsverständnis der Frauenforschung. Die Ideale der Wissenschaft wie Neutralität, Unparteilichkeit, Ergebnisoffenheit und Objektivität wurden abgelehnt und oft als spezifisch männlich sowie als Ausdruck patriarchaler Diskurse betrachtet. Frauenforschung soll hingegen parteilich sein, d.h. Partei für Frauen ergreifen[9]. Die feministische Wissenschaft soll von vornherein politischen Zielen dienen; sie soll auf der einen Seite die »männliche«, patriarchale Wissenschaft dekonstruieren, auf der anderen Seite die Situation von Frauen in der Wissenschaft und in der Gesellschaft verbessern[10].“


Sogar Propaganda wird, wie bei den nationalen und internationalen Sozialismen, als legitime Möglichkeit der Unterstützung von (diesmal feministischen) Zielen bezeichnet.

„Es lassen sich“, fahren die Herausgeber (auf den Seiten 4 und 5) fort, „folgende methodologische Postulate der Frauenforschung feststellen, die hier nach der von führenden Vertretern der deutschen Gender Studies verfassten Einführung in die soziologische Geschlechterforschung zitiert werden:


»1. Basierend auf einer Identifikation mit den Erforschten solle eine ‚bewusste Parteilichkeit’ an die Stelle des Prinzips der Wertfreiheit treten.
2. Die Forschung solle der Befreiung unterdrückter Gruppen dienen. Die Bedürfnisse und Interessen der Frauen sollten Forschungsziele und Forschungsgegenstände bestimmen.
3. Frauenforschung solle sich an emanzipatorischen Aktionen beteiligen.
4. Die ‚Veränderung des Status Quo’ sei zum ‚Ausgangspunkt wissenschaftlicher Erkenntnis’ zu machen (...).
5. Die Auswahl der Forschungsgegenstände sei nicht an den Interessen der Wissenschaftlerinnen zu orientieren, sondern müsse ‚von den allgemeinen Zielen und den strategischen und taktischen Erfordernissen’ der Frauenbewegung abhängig gemacht werden (...).
6. Forschung solle zu einem Bewusstwerdungsprozess sowohl für die Forscherin als auch für die Erforschten werden, welche selbst ‚zu forschenden Subjekten in einer befreienden Aktion’ würden (...).
7. Eine feministische Gesellschaftstheorie könne nur in der Teilnahme an den Kämpfen der Frauenbewegung entstehen[11]«“.

Die wissenschaftlichen Ideale der Unparteilichkeit, weltanschaulichen Neutralität, Ergebnisoffenheit und Objektivität werden also unter anderem aus moralischen Gründen („soll der Befreiung unterdrückter Gruppen dienen“) abgelehnt. Polanyis Erstaunen über ein „intensives moralisches Bewusstsein“, das „umfassende Gerechtigkeit“ erreichen wollte, ist heute wieder angebracht. Dass die „Verbrüderung aller Menschen“ mittels „wissenschaftlicher Skepsis“ angestrebt werde, war ebenso vorgetäuscht: Linke geben „die Vernunft als das einzig Wirkliche (Hegel) oder das immer Beste (Platon) aus“[12], woraus der sie kennzeichnende totalitäre Optimismus des Vertrauens auf die „materielle Notwendigkeit“ der angestrebten Ziele resultiert, der mit echter wissenschaftlicher Skepsis gerade nicht zusammengeht. Diese destruktive, im schlechtesten Sinne humanistische Haltung offenbart, welcher politischen Richtung die Gender Studies dienen, nämlich der Linken.


Es ist verständlich, wenn die genannten Herausgeber (Seite 5) konstatieren:

„Diese vorgängige und durchgängige Verquickung von Wissenschaft und Politik widerspricht den geltenden Wissenschaftsnormen. Sie machte und macht bis heute die Frauenforschung für ideologische Inhalte anfällig.“


Das zeigt sich dann bei den (auf Seite 7 angeführten) „Leitideen des Genderfeminismus, der sich mit einer Reihe sogenannter »postmoderner Ansätze« trifft, [und die] folgendermaßen zusammengefasst werden [können] – hier zitiert nach dem vielfach neuaufgelegten Band »Methoden der empirischen Sozialforschung«: »Jeder Aspekt der Unternehmung ,Wissenschaft’ kann nur durch seinen lokalen und kulturellen Kontext verstanden werden; auch Naturgesetze sind soziale Konstruktionen; wissenschaftliche Theorien sind gleichberechtigte ‚Texte’ oder ,Geschichten’ neben anderen; da vermeintliche Tatsachen keine eindeutigen Aussagen über wissenschaftliche Ergebnisse ermöglichen, kann über die Wahrheit von Sätzen nicht innerhalb von ‚Wissenschaft’ entschieden werden; da es keine objektive Wissenschaft geben kann, ist es umso wichtiger, explizite Ziele ‚emanzipatorischer Wissenschaft’ in den Prozess wissenschaftlicher Forschung aufzunehmen«[13]“.


Hinter den so genannten „postmodernen Ansätzen“ verbirgt sich kaum verhüllt die marxistisch-kommunistische Ideologie. Linksextreme, vor allem französische, Denker wie Jean-François Lyotard, Jacques Derrida, Michel Foucault hatten die Falsifizierung dieser teleologischen Ideologie durch den Untergang der Sowjetunion mit einer taktischen 180-Grad-Wende beantwortet: statt offener Teleologie nun behaupteter Relativismus. Die alte mechanistische Wissenschaftlichkeit wurde damit scheinbar flexibilisiert, aber nicht im Sinne Polanyis oder Schmitzens, die die geltenden Wissenschaftsnormen beibehielten und eben nicht zum postmodernen Relativismus gelangten: Der Rationalismus der Methode muss in der Wissenschaft natürlich beibehalten werden.


Nichts könnte falscher sein als in den durchaus kritischen Korrekturen des „modernen“ Wissenschaftsbilds durch Polanyi und Schmitz Relativismus zu sehen. Denn der Anspruch auf Wahrheit wird aufrechterhalten. Nicht so beim Postmodernismus,

„der ruft: »Es gibt keine Wahrheit!« oder »Wahrheit ist ein Herrschaftsinstrument!« Die Äußerungen der Postmodernisten dienen nicht der Wahrheitssuche, sondern der sozialistischen Veränderung der Welt.“[14]


Die postmoderne Leugnung wirklich objektiver, also freier und reiner Wissenschaft ist nichts Anderes als die Wiederkehr des Marxschen „Klassenstandpunkts“ („das Sein bestimmt das Bewusstsein“), nur dass diesmal vom „lokalen und kulturellen Kontext“ die Rede ist; über die „Wahrheit von Sätzen“ entscheidet heute nicht die Übereinstimmung mit den „Problemen des laufenden Fünfjahresplans“ oder das Ausmaß der Förderung der menschheitlichen Verbrüderung, sondern der angestrebte „emanzipatorische“ Gehalt, im Fall der Gender Studies die politische Durchsetzung der ergebnisorientierten Gleichstellung von Frauen und Männern (Gender Mainstreaming), die wie alle Ziele der Linken als „fortschrittlich“ angepriesen werden. (Dass aber noch viel weitergehende Ziele verfolgt werden, sei nur angedeutet: Es ist für heutige Linke „der Himmel auf Erden, wenn Frauen Männer und Männer Frauen werden können oder wenn, noch besser, es gar keine Geschlechter oder viele Geschlechter gibt. Die Aversion gegen die Ordnung und gegen die Welt führt zum Wunsch, die Geschlechter und damit auch die mit ihnen verbundenen Unterschiede und Aufgaben aufzulösen.“[15]) Doch ist politisierte Wissenschaft keine Wissenschaft mehr. Im Grunde hat sich bei den Linken also hinsichtlich der positivistischen und mechanistischen Wissenschaftsauffassung nichts geändert. Auch ist die materialistische nur durch eine moralische Teleologie ersetzt worden und der erkenntnistheoretische Relativismus endet bei jeder Kritik an den Gender Studies, die mittlerweile zum machtvollen Teil des Staatsfeminismus und totalitär geworden sind.


Es ist ein Leichtes, identische Muster bei anderen neuen Wissenschaftsfeldern, die mit den Gender Studies verbunden sind, zu enttarnen, so den Queer Studies und den Postcolonial Studies, die beide dem Konzept der so genannten Diversität verpflichtet sind und Gruppen, die angeblich genauso benachteiligt, diskriminiert und marginalisiert sind wie Frauen, politisch fördern, das heißt aber konkret: gesetzlich positiv diskriminieren sollen, also Lesben, Gay, Bisexuelle, Transgender, Queer, „people of color“, Migranten, Indigene und Kolonialisierte; dazu kommen noch „Postmigranten“, gemeint sind die Nachkommen von Migranten. Auch hier hat eine Wende vom einseitig zu fördernden Proletariat, das der Kapitalismus, nicht aber der Kommunismus, erfolgreich aus dem Elend geführt hat und das es deshalb nicht mehr gibt, zu neuen Gruppen stattgefunden, die von den Linken für ihre Zwecke vereinnahmt werden können, um ihnen zum Beispiel als Wähler zur Macht zu verhelfen, damit die den Linken verhasste bestehende Ordnung wie beispielsweise der homogene Nationalstaat zerstört werden kann. Doch ist auch hier das (angeblich moralische) Prinzip gleichgeblieben: die „Berufung auf das Gute, auf Gerechtigkeit und auf Mißstände, insbesondere mit der Behauptung, daß eine Gruppe von einer anderen unterdrückt werde“[16].


Inwieweit die wissenschaftliche Forschung zum angeblich menschengemachten Klimawandel sich von der grassierenden Politisierung freihalten konnte, sei an dieser Stelle offengelassen. Nur nebenbei sei auch eine weitere aktuelle Entwicklung erwähnt, die aus dem Erwähnten resultiert. Denn ist diese falsche linke Wissenschaftsauffassung einmal als solche erkannt, wird auch klar, wieso an westlichen Universitäten, die Brutstätten der oben skizzierten politisierten Wissenschaftsfelder sind, islamische Institute wie Pilze aus dem Boden sprießen. Die dort geübte Wissenschaft ist in jeder Hinsicht in noch weit größerem Maße eine Magd der Politik, nämlich der politischen Religion Islam. Beide, linke und islamische Wissenschaftler, treffen sich wiederum in der Feindschaft zum Christentum, das vereint in einer Weise bekämpft wird, die an die Möglichkeit einer neuen Christenverfolgung in Europa denken läßt, wie nicht nur der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán in seiner Rede auf der 2. Internationalen Konferenz zur Christenverfolgung am 26. November 2019 in Budapest sagte[17]. Auch hier ist sich die Linke seit 1789 berechenbar treu geblieben.


Die wahren Ziele des von den Linken angestrebten Sozialismus sind ausweislich der regelmäßig erfolgten Handlungen bei allen bisher über 60 sozialistischen Machtübernahmen, also empirisch nachgewiesen, folgende: „die politische Machtergreifung und die Aufrichtung einer Parteidiktatur; die Unterdrückung oder Tötung der Gegner; Enteignung, ganz oder teilweise durch progressive Steuern, Abgaben und Erbschaftsteuer; Planwirtschaft oder Regulierung der Wirtschaft; Aufhebung oder Einschränkung der Vertragsfreiheit; weitgehende Eingriffe ins Privatleben; staatliche Erziehung und Einschränkung privater Bildungswege“[18]. Wir können jetzt ergänzen: die Beseitigung reiner Wissenschaft, denn die Linken sind deren erklärte Feinde.



[1] Dieses und folgende Zitate Michael Polanyis finden sich in seinem Buch Implizites Wissen, Frankfurt, 2016, S. 13f.


[2] Dieser und folgende Begriffe von Hermann Schmitz finden sich am einfachsten in der Kurzfassung seiner Philosophie: Kurze Einführung in die Neue Phänomenologie, Freiburg und München, 2009.


[3] So nennt Ulrich Hintze den rationalistischen Komplexitätsbegriff in seiner Theoria Politica Generalis, Bad Schussenried, 2018, S. 99ff.


[4] Hermann Schmitz, System der Philosophie, Fünfter Band: Die Aufhebung der Gegenwart, Bonn, 1980, S. 202.


[5] Siehe Fußnote 3. Die Zitate finden sich auf den Seiten 231 und 232.


[6] „Zerstörung des Wahren, Guten und Schönen: Analyse eines destruktiven Modells“, in: eigentümlich frei Nr. 191 (April 2019), S. 27.


[7] Gender Studies: Wissenschaft oder Ideologie?, Baden-Baden, 2019.


[8] Paula-Irene Villa, „Das Subjekt Frau als Geschlecht mit Körper und Sexualität. Zum Stand der Frauenforschung in der Soziologie“, in: Soziologie 3/2000, S. 21.


[9] Hildegard Mogge-Grotjahn, Gender, Sex und Gender Studies. Eine Einführung, Freiburg im Breisgau, 2004, S. 70f..


[10] Sandra Harding, Feministische Wissenschaftstheorie. Zum Verhältnis von Wissenschaft und sozialem Geschlecht, Hamburg 1991 2. Aufl., S. 268 ff..


[11] Michael Meuser, „Methodologie und Methoden der Geschlechterforschung“, in: Brigitte Aulenbacher u.a. (Hrsg.), Soziologische Geschlechterforschung. Eine Einführung, Wiesbaden 2010, S. 80f..


[12] Hermann Schmitz, System der Philosophie, Fünfter Band: Die Aufhebung der Gegenwart, Bonn, 1980, S. 202.


[13] Rainer Schnell u. a. (Hrsg.), Methoden der empirischen Sozialforschung, München 2011 9. Aufl., S. 108.


[14] Daniel von Wachter, op. cit., S. 27.


[15] Daniel von Wachter, op. cit., S. 29.


[16] Daniel von Wachter, „Was ist das Grundmotiv der Achtundsechziger?“, Vortrag in Komorn am 10. Mai 2019, Redemanuskript S. 1.



[18] Daniel von Wachter, „Was ist das Grundmotiv der Achtundsechziger?“, Vortrag in Komorn am 10. Mai 2019, Redemanuskript S. 1.




*




Über den Autor:


ADORJÁN KOVÁCS, geb. 1958, lebt als Publizist und habilitierter Arzt in Frankfurt am Main. Beschäftigung mit Philosophie, Literatur und Musik. Letzte Buchveröffentlichungen: Politische Schriften in drei Bänden: Der Islam als die Illusion der Deutschen. Die irrationale Linke. Die Verwirrung der öffentlichen Vernunft. Jeweils Bad Schussenried 2017. Herausgeber von: Iwan Iljin: Über den gewaltsamen Widerstand gegen das Böse. Wachtendonk 2018.

Sein letzter TUMULT-Beitrag stand in Ausgabe Sommer 2018: Die Rache der Ausgetauschten. Warum die Deutschen gerade Muslime willkommen heißen.


 

Hier können Sie TUMULT abonnieren.

Für Einzelbestellungen klicken Sie bitte hier.


bottom of page