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Bettina Gruber: KONFLIKTE IN BUNTLAND I: Normativ unterm Regenbogen

Im aktuellen Teil ihrer Kolumne zeigt Bettina Gruber auf, dass sich das Räderwerk der "Emanzipation ins Leere" (Frank Böckelmann) längst hinreichend verselbstständigt hat, um auch solche Lebensformen ins Zwielicht des Normativen zu rücken, die noch vor wenigen Jahrzehnten als Bürgerscheuchen durchgingen.



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„Die Regenbogenfahne … steht in zahlreichen Kulturen weltweit für Aufbruch, Veränderung und Frieden, und sie gilt als Zeichen der Toleranz und Akzeptanz, der Vielfalt von Lebensformen, der Hoffnung und der Sehnsucht.“

Soweit ein zeitgenössischer Erbauungsartikel, der als Beleg für diese „weltweit“ verbreitete Bedeutung Thomas Müntzer und die Inkas zitiert. Ob diese Beispiele sehr glücklich gewählt sind, lasse ich dahingestellt. Ich würde zur Klärung ein Preisausschreiben mit dem Titel „Inklusion, Vielfalt und Akzeptanz in der Schlacht bei Frankenhausen und beim mesoamerikanischen Menschenopfer. Ein Vergleich.“ vorschlagen. Frau Giffey kann dem Gewinner dann als Preis ein Goldenes Ritualmesser mit gekreuzten Regenbogenfahnen verleihen.


Aber schweifen wir nicht ab. Ausdrücklich gilt die Fahne auch als Symbol für die Vielfalt von Lebensweisen. Im politisch inkorrekt tobenden Leben bedeutet Vielfalt allerdings immer auch Konflikt. Da die sozialen Regenbogenwelten, anders als ihr Symbol, nicht am gestirnten Himmel, sondern auf Erden existieren, sind Interessenkonflikte vorprogrammiert und längst eingetreten. Statt Toleranz und Akzeptanz zeichnet sich heftiges „Infighting“, also die Austragung interner Richtungskämpfe, ab.


Und in diesen scheinen ‚klassische‘ Homosexuelle beiderlei Geschlechts in die Defensive zu geraten. Im Februar dieses Jahres veröffentlichte der leitende Feuilleton-Redakteur der „Welt“, Tilman Krause einen Artikel mit dem Titel „Das Ende des schwulen Mannes“:


„Wer nicht queer (also dem Wortsinne nach pervers, aber positiv konnotiert und also sozial nonkonform und genderfluid) ist, bekommt die ganze Wucht jener Ausgrenzung zu spüren, mit der heute in hippen Kreisen auch den Heteronormativen das Wasser abgegraben wird. Denn sind jene Schwulen, die heute über 50 Jahre zählen, nicht letztlich auch nur alte weiße Männer? Was ist schon ihre Einschränkung, verglichen mit Frauen, Behinderten, Migranten, Transsexuellen? Welcher Diskriminierung sehen sich die Schwulen, verglichen mit den genannten Opfergruppen, denn heute, zumindest in den liberalen Gesellschaften des Westens, noch ausgesetzt?“

Krause konstatiert einen „Kulturkampf zwischen homonormativ und queer“, und zwar anhand einer geplanten Ausstellung über öffentliche Toiletten im Schwulen Museum Berlin, die, so die Kritik, die Perspektiven von „Lesben und Transpersonen“ nicht hinreichend berücksichtigt habe. Nur elf Prozent setze außerdem ein bekannter Szene-Buchladen mit lesbischer Literatur um. Der Geschäftsführer führt das darauf zurück, dass es für diese Klientel „kaum Bücher“ gebe. (Dies stimmt nur, falls diese die Weltliteratur ausschließlich in Hinblick auf ihre sexuellen Präferenzen betrachtet, was ich bezweifeln würde.)


Krause notiert zwar „die Aggressivität gegen alles Hetero- und Homonormative“, steht dieser Form der Diskriminierung aber entspannt gegenüber. „Alte, weiße Schwule“ seien ja schon privilegiert und Queere würden demnächst nachziehen – was allerdings längst geschehen ist. Man werfe nur einen Blick auf das Anfang dieses Monats ans Netz gegangene „Regenbogenportal“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das diesem Prozess ein weiteres amtliches Gütesiegel aufdrückt.


Aufschlussreich ist nicht nur die entgegenkommende Weitergabe der Opferstafette, weil dies illustriert, wie sich Gruppen mittlerweile gesellschaftlich etablieren, nämlich fast ausschließlich über die erfolgreiche Beanspruchung des Diskriminiertenstatus; aufschlussreich ist besonders die Wortprägung „homonormativ“, die den meisten Lesern unbekannt sein dürfte. Sie sind damit nicht allein, denn der Begriff scheint relativ jung. Im Oktober 2017 versucht die Seite pride.com, ihn einem offensichtlich damit noch unvertrauten Publikum nahezubringen. Dieser Einstellung machen sich speziell weiße Homosexuelle schuldig, die ihr Begehren nicht auf Farbige oder Behinderte richten (diese zu respektieren reicht ausdrücklich nicht), zu viel im Fernsehen auftreten und sich für ihre eigenen Interessen statt für die Transsexueller einsetzen. Und ganz wie bei Butlers Zwangsheterosexualität ist diese geheimnisvolle Kraft überall:


„Homonormativity is everywhere. It permeates into every fiber of queer life, ruining the community from inside out and top to bottom.”

Negatives wird damit nicht so sehr auf die Mehrheitsgesellschaft, sondern auf die “nächststehende“ Minderheit projiziert, der ihr Erfolg zum Vorwurf gemacht und die mit Forderungen überzogen wird. Dieses Muster findet sich auch in der Soziologie des Neides, der ebenfalls lieber auf sozial Näherstehende als auf Milliardäre gerichtet wird.


Mit dieser Verschiebung zeigt sich aber vor allem, dass Heterosexualität keineswegs das letzte Angriffsziel „bunter“ Bewegungen darstellt: Es geht (jedenfalls in westlichen Demokratien) nicht um „Befreiung“, nicht um eine längst gegebene „Gleichberechtigung“, sondern um einen Angriff auf Normativität an sich. Diese auf Dauer gestellte Attacke ist weder (positiv) eine Errungenschaft noch (negativ) eine Untugend solcher Bewegungen, sondern resultiert aus diskursiven Weichenstellungen, die in die Frühgeschichte der Individualisierung zurückreichen.


Etymologisch ist das „In-dividuum“ das Ungeteilte oder Unteilbare, praktisch betont unser Begriff von Individualität aber immer die Abweichung von einer Norm. Individuell ist eben, was sich unter eine solche nicht fassen lässt, oder vermeintlich maximal dagegen verstößt. Krauses Beobachtung, „Dragqueens“ würden bereits als zu angepasst wahrgenommen und durch das Ideal der „Dragslut“, („slut“ bedeutet „Schlampe, „Drag“ von einem Mann getragene Frauenkleider), gerne mit Behinderung, ersetzt, illustriert diese Dynamik der automatisierten Normverletzung sehr schön. Die elegant-ästhetische Kunstfigur Conchita Wurst repräsentierte bei einem europäischen Wettbewerb erfolgreich ein ganzes Land. Mehr Akzeptanz geht nicht, das einschlägige Provokationspotential war mit diesem Erfolg erschöpft. Der prestigereiche Status einer diskriminierten Außenseitergruppe aus lauter unangepassten Individuen muss durch das Auffinden und Verletzen weiterer (hier: ästhetischer) Normen wieder hergestellt werden, was, wie man dem Beispiel entnehmen kann, im Zukunft zunehmend mühsamer werden dürfte.


Die letzten Jahrzehnte, die eine beispiellose Idealisierung des (nur) Individuellen aufwachsen ließen, haben damit „Normativität“ zu einem Feindbild werden lassen. In ihrer Bedeutung von „Verbindlichkeit“ und „Endgültigkeit“ widerspricht sie dem Bild des Individuums, das sich an keiner Regel als an seinen Bedürfnissen orientiert. Was natürlich eine Fiktion ist und neue, in diesem Fall besonders absurde, Normen nach sich zieht, z.B. jemanden begehren zu sollen , weil er einer bestimmten vermeintlich oder tatsächlich benachteiligten Gruppe angehört.


Dass die Forderung nach einem politisch korrekten Begehren und die Anfeindungen gegen als arriviert geltende weiße Homosexuelle Keile in die Regenbogen-Welt treibt, liegt nahe. Spaltungsprozesse dieser Art spielen sich seit längerem auch dort ab, wo (heterosexuelle und lesbische) Feministinnen gegen Transmänner (also Frau-zu-Mann-Transsexuelle) mobil machen. Auch für sie steht ein Begriff zur Verfügung, und zwar, wenig bemerkt von der breiteren Öffentlichkeit, schon seit ca. zehn Jahren: TERFS.


Davon mehr in Teil II.




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Über die Autorin:


BETTINA GRUBER, Dr. phil. habil., venia legendi für Neuere Deutsche Philologie sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Vertretungs- und Gastprofessuren in Deutschland, Österreich und den USA. Ernennung zur außerplanmäßigen Professorin an der Ruhr-Universität Bochum 2005. 2015 bis 2017 im Rahmen des BMBF-Projektes FARBAKS an der TU-Dresden. Letzte Buchveröffentlichung: Bettina Gruber / Rolf Parr (Hg.): Linker Kitsch. Bekenntnisse – Ikonen−Gesamtkunstwerke. Paderborn 2015.



 

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